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Zirkuskind

Zirkuskind

Titel: Zirkuskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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demselben Stoff. Das weiße Hemd ließ sich unterschiedlich
verwenden; vielleicht war es zu einem Stehkragen aufgerollt worden oder diente als
Kopfbedeckung in Form einer Kapuze. Der Detective äußerte die Vermutung, daß die
angebliche Nonne keinen Schnurrbart gehabt hatte. (»Natürlich nicht!« erklärte die
Madam.) Und da der Kopf der Nonne bedeckt war, konnte sie die Pompadourfrisur nicht
sehen.
    [846]  Die
Bordellwirtin hatte das tote Mädchen nur deshalb so rasch gefunden, weil sie nicht
mehr einschlafen konnte. Erst schrie einer der nächtlichen Kunden, und als es endlich
still wurde, hörte sie das Blubbern von kochendem Wasser, obwohl um diese Zeit kein
Mensch Tee kochte. In dem winzigen Zimmer des toten Mädchens stand ein Topf Wasser
auf einer Heizspirale und brodelte vor sich hin; nur deshalb hatte die madam die Leiche entdeckt. Ansonsten hätte
es acht oder neun Uhr morgens werden können, bis die anderen Prostituierten bemerkt
hätten, daß die kleine Asha nicht auf den Beinen war.
    Der Kommissar
fragte die madam nach dem Geräusch der Tür, die jemand
von draußen hatte aufmachen wollen, dem Geräusch, von dem sie aufgewacht war. Hätte
die Tür nicht dasselbe Geräusch gemacht, wenn die Nonne sie von innen geöffnet und
dann hinter sich geschlossen hätte? Die Wirtin räumte ein, daß das Geräusch dasselbe
gewesen wäre. Mit einem Wort: Hätte die madam die Tür nicht gehört, hätte sie
die Nonne überhaupt nicht gesehen. Und als Mrs. Dogar schließlich ein Taxi nahm,
um nach Hause zu fahren, war sie längst keine Nonne mehr. Außerordentlich höflich
stellte Detective Patel der Bordellwirtin eine recht offensichtliche Frage: »Halten
Sie es für möglich, daß der gar nicht so alte Mann und die Nonne in Wirklichkeit
ein und dieselbe Person waren?« Sie zuckte die Achseln; sie bezweifelte, daß sie
eine der beiden Personen identifizieren könnte. Als der Kommissar sie drängte, noch
einmal genau zu überlegen, fügte sie lediglich hinzu, daß sie ziemlich schlaftrunken
war. Erst hatte der gar nicht so alte Mann sie aufgeweckt und später die Nonne.
    Nancy
war noch immer nicht wach, als Detective Patel in seine Wohnung zurückkehrte. Er
hatte bereits einen vernichtenden Bericht getippt, den Überwachungsbeamten degradiert
und ihn in die Poststelle des Kriminalkommissariats versetzt. Er wollte gern zu
Hause sein, wenn seine Frau aufwachte; außerdem wollte er Inspector Dhar und Dr.
Daruwalla nicht von der [847]  Polizeiwache aus anrufen. Er wollte sie alle ein bißchen
länger schlafen lassen.
    Der Kommissar
kam zu dem Schluß, daß Ashas Hals aus zwei Gründen so sauber gebrochen war. Erstens
war sie klein, und zweitens war sie völlig entspannt gewesen. Rahul mußte sie dazu
gebracht haben, sich auf den Bauch zu legen, angeblich um sie in dieser Stellung
zu vögeln. Aber natürlich war es nicht dazu gekommen. Die tiefen, von Fingern stammenden
Druckstellen in den Augenhöhlen der Prostituierten – und an der Kehle, unmittelbar
unterhalb des Kieferknochens – deuteten darauf hin, daß Mrs. Dogar Ashas Kopf von
hinten gepackt haben mußte. Dann hatte sie ihn mit einem Ruck nach hinten und zur
Seite gezerrt, bis das Genick des kleinen Mädchens brach.
    Sodann
hatte Rahul Asha auf den Rücken gerollt, um ihren Bauch bemalen zu können. Obwohl
es sich um den üblichen Elefanten handelte, war er weniger sorgfältig ausgeführt
als sonst. Diese Tatsache ließ auf übertriebene Eile schließen, was deshalb eigenartig
war, weil es keinen dringenden Grund gab, warum Mrs. Dogar das Bordell rasch hätte
verlassen müssen. Und doch trieb etwas Rahul zur Eile an. Als Detective Patel die
neue, abscheuliche »Besonderheit« an diesem Mord mit eigenen Augen sah, wurde ihm
übel. Die Unterlippe des toten Mädchens war glatt durchgebissen. Asha konnte unmöglich
so brutal gebissen worden sein, solange sie noch lebte, denn ihre Schreie hätten
das ganze Bordell aufgeweckt. Nein. Der Biß war nach dem Mord erfolgt, und nach
der Zeichnung. Die minimale Blutmenge deutete darauf hin, daß Asha gebissen worden
war, nachdem ihr Herz zu schlagen aufgehört hatte. Und dieser Gedanke, das Mädchen
zu beißen, hatte Mrs. Dogar zur Eile veranlaßt, dachte der Polizeibeamte. Sie konnte
es kaum erwarten, die Zeichnung fertigzustellen, weil Ashas Unterlippe eine solche
Versuchung für sie darstellte.
    Doch selbst
das wenige Blut hatte eine für Rahul untypische [848]  Schweinerei angerichtet. Es war
garantiert Mrs. Dogar

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