Zirkuskind
gewesen, die den Topf mit Wasser auf die Heizspirale gestellt
hatte, denn das Blut der kleinen Hure mußte in ihrem Gesicht, zumindest auf dem
Mund, Spuren hinterlassen haben. Sobald das Wasser warm war, tauchte Rahul ein Kleidungsstück
des toten Mädchens in den Topf und wusch sich damit das Blut ab. Dann verschwand
sie – als Nonne –, ohne daran zu denken, daß die Heizspirale noch an war. Das kochende
Wasser hatte die Bordellwirtin auf den Plan gerufen. Die Idee mit der Nonne war
schlau gewesen, der Rest aber schlampige Arbeit.
Nancy
wachte etwa um acht Uhr auf. Sie hatte einen Kater, doch Detective Patel zögerte
nicht, ihr zu berichten, was geschehen war. Er konnte hören, wie sie sich im Bad
übergab. Als erstes rief er den Schauspieler an, dann den Drehbuchautor. Dhar erzählte
er von der Lippe, dem Doktor jedoch nicht; ihm gegenüber betonte der Kommissar besonders,
wie wichtig ein guter Dialogtext für Dhars Lunch mit Mrs. Dogar war. Patel teilte
beiden mit, daß er Rahul heute würde verhaften müssen und nur hoffen konnte, daß
die Indizienbeweise dafür ausreichten. Ob sie auch ausreichten, um sie festzuhalten,
stand auf einem anderen Blatt. In diesem Punkt verließ er sich auf den Schauspieler
und den Drehbuchautor. Sie mußten dafür sorgen, daß beim Lunch etwas passierte.
Als weiteren
Hoffnungsschimmer betrachtete Kommissar Patel ein Detail, das ihm der leichtgläubige
Überwachungsbeamte gemeldet hatte. Nachdem die verkleidete Mrs. Dogar aus dem Taxi
gestiegen und ins Haus geschlurft war, gingen in einem Zimmer im Erdgeschoß – keinem
Schlafzimmer – die Lichter an und brannten bis nach Tagesanbruch. Und jetzt hoffte
der Kommissar, daß Rahul gezeichnet hatte.
Dr. Daruwalla
wurde aus seinem ersten guten Schlaf seit fünf Nächten, diese mitgerechnet, ziemlich
früh aufgescheucht. Da für den Neujahrstag weder Operationen noch Praxistermine
auf [849] seinem Programm standen, hatte er eigentlich ausschlafen wollen. Doch nachdem
sich Detective Patel gemeldet hatte, rief der Drehbuchautor umgehend John D. an.
Es war eine Menge zu erledigen, bevor sich Dhar zum Lunch in den Duckworth Club
begab. Sie mußten noch ausgiebig probieren – was zum Teil etwas unangenehm werden
würde, weil sie dazu Mr. Sethna benötigten. Der Kommissar hatte den alten Butler
bereits verständigt.
Von John
D. erfuhr Farrokh die Sache mit Ashas Unterlippe.
»Dabei
hat Rahul sicher an dich gedacht!« rief Dr. Daruwalla aus.
»Na, wir
wissen ja, daß sie gern zubeißt«, erklärte Dhar dem Doktor. »Aller Wahrscheinlichkeit
nach hat es mit dir angefangen.«
»Was meinst
du damit?« fragte Dr. Daruwalla, denn John D. hatte ihm noch nicht erzählt, daß
Mrs. Dogar zugegeben hatte, an der Zehe des Doktors herumgeknabbert zu haben.
»Angefangen
hat alles in Goa mit deiner rechten großen Zehe«, begann John D. »Das war Rahul,
der dich damals gebissen hat. Du hattest die ganze Zeit recht… es war kein Affe.«
Die falsche Madhu
An diesem
Montag, lange vor der Fleischfütterung im Great Blue Nile Circus in Junagadh, hörte
der elefantenfüßige Junge beim Aufwachen das regelmäßige Keuchen der Löwen; ihr
leises Gebrüll schwoll so regelmäßig an und ab wie Atemzüge. Für diese Gegend von
Gujarat war es ein kalter Morgen. Zum erstenmal in seinem Leben konnte Ganesh seinen
eigenen Atem sehen; und aus den Löwenkäfigen stieg der schnaubende Atem der Tiere
wie Dampfwolken empor.
Die Muslime
lieferten das von Fliegen wimmelnde Fleisch in [850] einem hölzernen Wagen an. Der
Boden des Wagens wurde im ganzen vom Fahrgestell abgehoben und zwischen dem Küchenzelt
und den Raubtierkäfigen auf dem Boden abgesetzt; das rohe Rindfleisch türmte sich
auf der unbearbeiteten Holzplatte, die etwa die Größe einer Doppeltür hatte. Trotz
der kalten Morgenluft schwirrten die Fliegen über dem Fleisch, das Chandra, der
Koch, sortierte. Manchmal befanden sich unter dem Rindfleisch auch Hammelstücke,
und die wollte der Koch retten. Hammel war zu teuer für Löwen und Tiger.
Jetzt
brüllten die Raubkatzen. Sie konnten das Fleisch riechen, und einige konnten sehen,
wie der Koch die besten Stücke Hammelfleisch aussortierte. Falls es dem Elefantenjungen
angst machte, wie wild die Löwen und Tiger das rohe Rindfleisch verschlangen, erfuhr
Dr. Daruwalla nie davon. Er sollte auch nie erfahren, ob der Anblick der Löwen,
die auf dem Fleischfett ausrutschten, den Krüppel beunruhigte. Dieser Anblick gehörte
zu den wenigen
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