Zirkuskind
erklärte ihm Ranjit. »Dr. Daruwalla ist heute
nicht da.«
»Es handelt
sich um eine äußerst wichtige Nachricht… Der Doktor möchte garantiert so schnell
wie möglich Bescheid wissen«, sagte Mr. Subash.
»Dann
sagen Sie mir, worum es geht«, entgegnete Ranjit.
»Also…
sie hat es«, verkündete Mr. Subash theatralisch.
»Sie müssen
sich schon deutlicher ausdrücken«, sagte Ranjit.
»Dieses
Mädchen, Madhu, ihr HIV -Test
ist positiv«, sagte Mr. Subash. Ranjit wußte, daß dies dem Ergebnis widersprach,
das er in Madhus Unterlagen gesehen hatte. Tata Zwo hatte Dr. Daruwalla bereits
mitgeteilt, daß der Test bei Madhu negativ ausgefallen war. Und Ranjit ging davon
aus, daß Dr. Daruwalla das Mädchen nicht zum Zirkus gelassen hätte, wenn es mit
dem Aids-Virus infiziert gewesen wäre.
»Der ELISA ist positiv, und der Western Blot
hat das bestätigt«, sagte Mr. Subash.
»Aber
Dr. Tata hat Dr. Daruwalla selbst gesagt, Madhus Test sei negativ«, sagte Ranjit.
»Das war
mit Sicherheit die falsche Madhu«, sagte der alte Mr. Subash abweisend. »Ihre Madhu
ist HIV -positiv.«
»Das ist
ein gravierender Irrtum«, merkte Ranjit an.
»Das ist
kein Irrtum«, sagte Mr. Subash ungehalten. »Es handelt sich lediglich darum, daß
es zwei Madhus gibt.« Aber mit »lediglich« war die Sache nicht abgetan.
Ranjit
hielt sein Telefongespräch mit Mr. Subash in einer ordentlich getippten Notiz fest,
die er Dr. Daruwalla auf den Schreibtisch legte. Aus den vorhandenen Befunden zog
er den Schluß, daß Madhu und Mr. Garg etwas gemeinsam hatten, was [856] ein bißchen
ernster war als Clamydien. Allerdings konnte Ranjit nicht wissen, daß Mr. Garg nach
Junagadh gefahren war und Madhu aus dem Zirkus zurückgeholt hatte. Wahrscheinlich
hatte Garg den Entschluß, das Mädchen nach Bombay zurückzuholen, erst gefaßt, nachdem
er erfahren hatte, daß Madhu nicht HIV -positiv war – vielleicht aber auch
nicht. In der Welt des Wetness Cabaret und in sämtlichen Bordellen Kamathipuras
war ein gewisser Fatalismus an der Tagesordnung.
Die Nachricht
wegen der falschen Madhu würde ebenfalls auf Dr. Daruwalla warten. Welchen Sinn
hatte es schon, schlimme Nachrichten unverzüglich weiterzuleiten? Immerhin glaubte
Ranjit, daß sich Madhu nach wie vor beim Zirkus in Junagadh befand. In bezug auf
Mr. Garg ging Dr. Daruwallas Sekretär fälschlicherweise davon aus, daß der Säuremann
Bombay nicht verlassen hatte. Und als Martin Mills in Dr. Daruwallas Praxis anrief,
sah Ranjit keinen Grund, ihm mitzuteilen, daß Madhu mit dem Aids-Virus infiziert
war. Der Jesuit wollte sich seine Wunden frisch verbinden lassen, nachdem ihm der
Pater Rektor klargemacht hatte, daß saubere Verbände bei der Jubiläumsfeier einen
besseren Eindruck machen würden. Ranjit erklärte Martin, er müsse den Doktor zu
Hause anrufen. Da Farrokh gerade mit John D. und dem alten Mr. Sethna das Wiedersehen
mit Rahul probierte, nahm Julia die Nachricht entgegen. Sie war überrascht, als
sie erfuhr, daß Dhars Zwillingsbruder von einem vermutlich tollwütigen Schimpansen
gebissen worden war. Martin wiederum war überrascht und gekränkt, als er erfuhr,
daß Dr. Daruwalla seiner Frau nichts von dem schmerzlichen Zwischenfall erzählt
hatte.
Julia
nahm die Einladung des Jesuiten zu dem frühen Abendessen anläßlich des Jubiläums
freundlich an und versprach, dafür zu sorgen, daß Farrokh rechtzeitig vor Beginn
der Feierlichkeiten in St. Ignatius eintraf, um Martins Verbände zu wechseln. Der
Scholastiker bedankte sich bei Julia, doch als er den Hörer [857] auflegte, überwältigte
ihn die absolute Fremdartigkeit seiner Situation. Er war seit knapp einer Woche
in Indien, und plötzlich forderte alles, was ihm nicht vertraut war, einen Tribut.
Zunächst
einmal hatte ihn Pater Julians Reaktion auf seine Beichte verblüfft. Der Pater Rektor
war recht ungeduldig und streitlustig gewesen; er hatte ihm zähneknirschend und
abrupt die Absolution erteilt – der hastig die nachdrückliche Aufforderung gefolgt
war, Martin solle etwas wegen seines verschmutzten, blutigen Kopfverbandes unternehmen.
Aber der Priester und der Scholastiker waren auf eine grundlegende Unstimmigkeit
gestoßen. Als Martin Mills im Verlauf seiner Beichte gestanden hatte, daß er den
verkrüppelten Jungen mehr liebte, als er die Kindprostituierte je würde lieben können,
hatte Pater Julian ihn unterbrochen und gemeint, er solle sich nicht so viel Gedanken
um seine eigene Fähigkeit zur
Weitere Kostenlose Bücher