Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zirkuskind

Zirkuskind

Titel: Zirkuskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
Dhar
hätte doch bestimmt nichts dagegen, Nancy in seinem Privattaxi nach Hause zu bringen.
    »Keine gute Idee.«
Das war alles, was Nancy erwiderte.
    Julia sagte, sie
und Dr. Daruwalla könnten Nancy nach Hause bringen. Dhar bot Nancy an, daß Vinod
sie heimfahren würde – nur der Zwerg allein. Auf diese Weise würde sie mit niemandem
reden müssen.
    Nancy zog diese
Lösung vor. »In der Gegenwart von Zwergen fühle ich mich sicher«, sagte sie. »Ich
mag Zwerge.«
    Nachdem sie mit
Vinod gegangen war, fragte Detective Patel [872]  Inspector Dhar, wie es ihm gefallen
hatte, ein echter Polizist zu sein. »Im Film ist es besser«, antwortete der Schauspieler.
»Im Film läuft alles so ab, wie es ablaufen soll.«
    Nachdem der Kommissar
mit Rahul den Club verlassen hatte, renkte Dr. Daruwalla John D.s kleinen Finger
wieder ein. »Schau einfach weg, schau Julia an«, empfahl ihm der Doktor. Dann ließ
er den ausgerenkten Finger an seinen Platz zurückschnappen. »Morgen machen wir eine
Röntgenaufnahme«, sagte Dr. Daruwalla. »Vielleicht müssen wir ihn schienen, aber
erst, wenn die Schwellung zurückgegangen ist. Vorerst hältst du ihn einfach in Eis.
    John D. befolgte
diesen Ratschlag sogleich am Tisch im Ladies’ Garden, wo er den kleinen Finger in
sein Wasserglas tauchte; das Eis im Glas war weitgehend geschmolzen, so daß Dr.
Daruwalla bei Mr. Sethna Nachschub bestellte. Da der alte Parse zutiefst enttäuscht
schien, weil niemand ihn zu seinem Auftritt beglückwünscht hatte, sagte Dhar: »Das
war wirklich brillant, Mr. Sethna… wie Sie zum Beispiel über Ihr eigenes Tablett
gefallen sind. Allein schon das ablenkende Geschepper des Tabletts, Ihre ganz bewußte,
aber graziöse Unbeholfenheit… einfach brillant.«
    »Vielen Dank«, antwortete
Mr. Sethna. »Ich war nicht sicher, was ich mit den Speisekarten machen sollte.«
    »Auch das war brillant…
wie ihr die Speisekarten in den Schoß geflogen sind. Perfekt!« sagte Inspector Dhar.
    »Vielen Dank«, wiederholte
der Butler. Er entfernte sich vom Tisch, so zufrieden mit sich selbst, daß er das
Eis zu bringen vergaß.
    Niemand hatte zu
Mittag gegessen. Dr. Daruwalla gestand als erster, daß er ordentlich Hunger hatte.
Julia war so erleichtert, daß Mrs. Dogar fort war, daß sie ebenfalls beträchtlichen
Appetit verspürte. John D. speiste mit den beiden, stocherte aber gleichgültig in
seinem Essen herum.
    [873]  Farrokh erinnerte
Mr. Sethna an das vergessene Eis, das der Butler schließlich in einer silbernen
Schüssel auf den Tisch stellte. Solche Schüsseln dienten in der Regel ausschließlich
zum Kühlen von Riesengarnelen, so daß der Schauspieler seinen geschwollenen kleinen
Finger mit etwas verdrossener Miene hineinsteckte. Obwohl der Finger noch immer
anschwoll, vor allem unten am Grundgelenk, war er nicht annähernd so verfärbt wie
Dhars Unterlippe.
    Der Schauspieler
trank mehr Bier, als er sich normalerweise um die Mittagszeit genehmigte, und sein
Beitrag zur Unterhaltung drehte sich ausschließlich darum, wann er Indien verlassen
würde. Sicher vor Ende des Monats, dachte er. Er war unschlüssig, ob er sich die
Mühe machen sollte, sein Scherflein zum Werbefeldzug für Inspector Dhar
und die Türme des Schweigens beizutragen. Dhar wies darauf hin, daß jetzt, nachdem der echte
Käfigmädchenkiller festgenommen worden war, seine kurze Anwesenheit in Bombay unter
Umständen (ausnahmsweise) mit positiver Publicity verknüpft sein könnte. Je länger
er laut darüber nachsann, um so näher rückte die Erkenntnis, daß es eigentlich nichts
gab, was ihn noch hier in Indien hielt. Aus seiner Sicht sah die Sache so aus: Je
eher er in die Schweiz zurückkehrte, desto besser.
    Der Doktor meinte,
er und Julia würden vermutlich früher als geplant nach Kanada zurückkehren; außerdem
könne er sich nicht vorstellen, in absehbarer Zeit nach Bombay zurückzukehren, und
je länger man fortblieb… na ja, um so schwieriger würde es sein, überhaupt wieder
zurückzukehren. Julia ließ die beiden reden. Sie wußte, wie sehr es Männern widerstrebte,
sich von äußeren Umständen bestimmen zu lassen. Sie waren wie kleine Kinder, sobald
sie nicht Herr der Lage waren – sobald sie das Gefühl hatten, nicht hinzugehören,
wo sie sich gerade befanden. Zudem hatte Julia Farrokh allzu häufig sagen hören,
daß er nie mehr nach Indien zurückkehren [874]  werde; dabei würde er immer wieder zurückkehren,
das wußte sie.
    Die Spätnachmittagssonne
zwängte sich

Weitere Kostenlose Bücher