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Zirkuskind

Zirkuskind

Titel: Zirkuskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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aussah, als sollte er einen gewaltigen Kropf verdecken. Dann erneuerte er
den Verband an der aufgeschlitzten Hand, und zwar so, daß Martin seine Finger nur
teilweise bewegen konnte. Für das halb abgefressene Ohrläppchen verwendete der Doktor
eine Unmenge Mull und Leukoplast und wickelte das ganze Ohr ein, so daß der eifrige
Jesuit nur mehr auf einer Seite hören konnte.
    Aber die strahlend
sauberen Verbände unterstrichen die heldenhafte Erscheinung des neuen Missionars
noch mehr. Selbst Julia war beeindruckt. Und alsbald machte in der Dämmerung die
Geschichte die Runde, der amerikanische Missionar habe soeben zwei Bettelkinder
vor dem Straßenleben in Bombay gerettet. Er habe sie bei einem Zirkus mehr oder
minder in Sicherheit gebracht, wo er von einem wilden Tier angegriffen worden sei.
Dr. Daruwalla, der am Rande der frühabendlichen Veranstaltung verdrießlich herumstand,
bekam zufällig mit, wie jemand erzählte, Martin Mills sei von einem Löwen so übel
zugerichtet worden. Nur dem Bedürfnis des Scholastikers, sich herabzusetzen, war
die [877]  Richtigstellung zu verdanken, daß er lediglich von einem Affen gebissen worden
war.
    Besonders deprimierend
fand der Doktor, daß diese phantastische Geschichte von der Klavier spielenden Miss
Tanuja verbreitet wurde. Sie hatte ihre geschweifte Brille anscheinend gegen rosa
getönte Kontaktlinsen eingetauscht, die ihren Augen die brennende Röte einer geblendeten
Laborratte verliehen. Sie quoll nach wie vor aus ihrer westlichen Kleidung, ein
üppiges Schulmädchen im Kleid einer ältlichen Tante. Und sie trug nach wie vor den
speerspitzigen Büstenhalter, der ihre Brüste vor und nach oben schob wie die spitzen
Kirchtürme einer eingestürzten Kirche. Wie beim letztenmal schien das zwischen Miss
Tanujas gut gewappneten Brüsten baumelnde Kruzifix dem sterbenden Christus neue
Qualen aufzuerlegen – so jedenfalls sah es Dr. Daruwalla in seiner Enttäuschung
über die Religion, die er auf Rahuls Biß hin angenommen hatte.
    Die Jubiläumsfeier
war eindeutig nicht nach Dr. Daruwallas Geschmack. Er empfand einen diffusen Abscheu
vor einer derart frohgemuten Versammlung von Christen in einem nichtchristlichen
Land; die betonte religiöse Komplizenschaft verursachte ihm schon fast körperliches
Unbehagen. Julia fand sein Verhalten unnahbar, wenn nicht gar schlichtweg unfreundlich.
Er hatte die Absolventenlisten in der Eingangshalle überflogen und war zu jener
Stelle am Fuß der Hoftreppe geschlendert, wo an der Wand neben der Christusstatue
mit dem kranken Kind der Feuerlöscher hing. Julia wußte, warum Farrokh dort stehengeblieben
war. Er hoffte, daß jemand ihn ansprechen und er dann eine Bemerkung loslassen könnte,
wie aberwitzig es doch sei, Jesus neben einem Gerät zur Feuerbekämpfung zu postieren.
    »Ich bringe dich
nach Hause«, kündigte Julia an. Dann bemerkte sie, wie müde Farrokh aussah und wie
völlig fehl am Platz er wirkte – wie verloren. Das Christentum hatte ihn her [878]  eingelegt.
Indien war nicht mehr sein Land. Als Julia ihn auf die Wange küßte, merkte sie,
daß er geweint hatte.
    »Ja, bitte, bring
mich nach Hause«, sagte Farrokh.

[879]  26
    Auf Wiedersehen, Bombay
    Alsdann
    Danny
Mills starb im Anschluß an eine Silvesterparty in New York. Es war Dienstag, der
zweite Januar, als Martin Mills und Dr. Daruwalla endlich verständigt wurden. Die
Verzögerung wurde auf den Zeitunterschied geschoben – New York hinkt zehneinhalb
Stunden hinter Bombay her – aber der eigentliche Grund war der, daß Vera den Silvesterabend
nicht mit Danny verbracht hatte. Danny, fast fünfundsiebzig, starb allein. Vera,
inzwischen fünfundsechzig, entdeckte Dannys Leiche erst am Abend des Neujahrstages.
    Als Vera in ihr
gemeinsames Hotel zurückkehrte, hatte sie sich noch nicht vollständig von ihrem
Rendezvous mit einem aufgehenden Stern in der Leichtbier-Werbung erholt – eine unschickliche
Eskapade für eine Frau ihres Alters. Danny war hinter einer Tür mit dem optimistischen
Schildchen BITTE NICHT STÖREN gestorben, doch Vera hatte keinen Sinn für solche ironischen Schlenker.
Der Leichenbeschauer kam zu dem Ergebnis, daß Danny an seinem eigenen Erbrochenen
erstickt war, das (wie sein Blut) fast zu zwanzig Prozent aus Alkohol bestand.
    Obwohl Vera in ihren
zwei Telegrammen die medizinische Todesursache nicht erwähnte, schaffte sie es,
Martin auf abfällige Weise mitzuteilen, daß Danny im Suff gestorben war.
    DEIN VATER IST BETRUNKEN IN EINEM

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