Zirkuskind
werden Sie tun… Sie und Ihre Frau?« erkundigte sich Farrokh.
»Was meinen Sie
damit?« fragte Detective Patel. Zum erstenmal schien er überrascht.
»Ich meine, werden
Sie hierbleiben… in Bombay, in Indien?« fragte der Doktor.
[888] »Wollen Sie mir
etwa einen Job anbieten?« entgegnete der Polizist.
Farrokh lachte.
»Eigentlich nicht«, gab er zu. »Ich wollte nur gern wissen, ob Sie hierbleiben.«
»Aber das hier ist
doch meine Heimat«, erklärte ihm der Kommissar. »Sie sind derjenige, der hier nicht
zu Hause ist.«
Eine unangenehme
Feststellung, die der Doktor jetzt schon zum zweitenmal zu hören bekam. Erst Vinod
und jetzt Patel hatten ihm eine Lektion erteilt, und beide Male ging es darum, etwas
Unbefriedigendes zu akzeptieren.
»Falls Sie jemals
nach Kanada kommen«, sprudelte Farrokh hervor, »würde es mich freuen, Sie als Gast
bei uns zu haben – und Ihnen alles zu zeigen.«
Jetzt war es der
Kommissar, der lachen mußte. »Es ist viel wahrscheinlicher, daß ich Sie wiedersehe,
wenn Sie nach Bombay zurückkommen«, meinte er.
»Ich komme nicht
nach Bombay zurück«, sagte Dr. Daruwalla beharrlich. Er hatte sich nicht zum erstenmal
so unmißverständlich zu diesem Thema geäußert.
Obwohl Detective
Patel diese Aussage höflich zur Kenntnis nahm, spürte Dr. Daruwalla, daß er ihm
nicht glaubte. »Alsdann«, sagte Patel. Mehr gab es dazu nicht zu sagen. Nicht »Auf
Wiedersehen«, nur »Alsdann«.
Nicht ein Wort
Martin
Mills beichtete abermals bei Pater Cecil, der es diesmal schaffte wach zu bleiben.
Der Scholastiker hatte sich vorschneller Schlußfolgerungen schuldig gemacht. Er
interpretierte Dannys Tod und die Aufforderung seiner Mutter, ihr in New York zur
Seite zu stehen, als ein Zeichen. Schließlich sind die Jesuiten dafür bekannt, daß
sie unentwegt Gottes Willen [889] erforschen, und Martin war dafür ein besonders eifriges
Beispiel. Er suchte nicht nur Gottes Willen zu ergründen, sondern glaubte zu oft,
ihn spontan erfaßt zu haben. In diesem Fall, gestand Martin, schaffte seine Mutter
es anscheinend immer noch, ihm Schuldgefühle einzujagen, denn er war geneigt, auf
ihr Geheiß hin nach New York zu fahren. Martin beichtete auch, daß er nicht hinfahren
wollte. Daraus zog er den voreiligen Schluß, seine Schwäche – seine Unfähigkeit,
Vera die Stirn zu bieten – sei ein Anzeichen dafür, daß ihm der nötige Glaube fehle,
um Priester zu werden. Dazu kam noch, daß die Kindprostituierte nicht nur den Zirkus
verlassen hatte und zu ihrem sündigen Leben zurückgekehrt war, sondern daß sie ziemlich
sicher an Aids sterben würde. Was Madhu widerfahren war, interpretierte Martin als
eine noch düsterere Vorwarnung, daß er nicht zum Priester taugte.
»Das soll mir eindeutig
zeigen, daß ich unfähig sein werde, die Gnade, die ich durch die Priesterweihe von
Gott erhalte, zu erneuern«, beichtete Martin dem alten Pater Cecil, der sich wünschte,
der Pater Rektor könnte das hören. Pater Julian hätte den eingebildeten Tor auf
seinen Platz verwiesen. Welche Unverschämtheit – welch bodenlose Unbescheidenheit –, jeden Augenblick des Zweifels an sich selbst als Zeichen Gottes zu deuten! Was
immer Gottes Wille sein mochte, Pater Cecil war überzeugt, daß Martin Mills nicht
dazu ausersehen war, soviel davon abzubekommen, wie er sich einbildete.
Da Pater Cecil Martin
stets in Schutz genommen hatte, war er selbst überrascht, als er sagte: »Wenn Sie
so sehr an sich zweifeln, Martin, sollten Sie vielleicht wirklich nicht Priester
werden.«
»Ich danke Ihnen,
Pater!« sagte Martin. Erstaunt registrierte Pater Cecil, wie erleichtert der Seufzer
des somit ehemaligen Scholastikers klang.
Als der Pater Rektor
von Martins schockierender [890] Entscheidung erfuhr – die Lebensgemeinschaft der Jesuiten
zu verlassen, nicht mehr »einer der Unsrigen« zu sein, wie die Jesuiten es nennen –, reagierte er verblüfft, aber philosophisch.
»Indien ist nicht
jedermanns Sache«, bemerkte Pater Julian, der es vorzog, Martin Mills’ abruptem
Entschluß eine weltliche Deutung zu geben. Schieben wir sozusagen Bombay die Schuld
in die Schuhe. Schließlich war Pater Julian ein Engländer, der sich zugute hielt,
daß er die Tauglichkeit amerikanischer Missionare grundsätzlich in Zweifel zog;
immerhin hatte er bereits aufgrund der mageren Aussage von Martin Mills’ Dossier
Vorbehalte geäußert. Pater Cecil, der Inder war, meinte, es täte ihm leid, den jungen
Martin gehen zu sehen;
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