Zirkuskind
Dr. Daruwalla zu.
»Dann wollen Sie
also, daß ich sie schikaniere… und Garg auch?« fragte der Polizist. Als ihm der
Doktor nicht antwortete, fuhr er fort: »Wenn Garg diese Madhu auf die Straße jagt
oder wenn sie wegläuft, kann ich sie zum Verhör herbringen lassen. Dann können Sie
mit ihr reden. Das Problem ist nur, daß es mir in diesem Fall nicht gelingen wird,
sie zu finden. Sie ist zu hübsch und zu gewitzt, um sich auf der Straße zu prostituieren.
Sie wird in ein Bordell gehen, und sobald sie drin ist, läßt sie sich nicht mehr
auf der Straße blicken. Jemand bringt ihr was zu essen, und die Bordellwirtin kauft
ihr was zum Anziehen.«
»Und wenn sie krank
wird?« fragte der Doktor.
»Es gibt Ärzte,
die die Bordelle betreuen«, erwiderte Patel. »Wenn sie so krank wird, daß sie nicht
mehr als Prostituierte arbeiten kann, wird die Bordellwirtin sie voraussichtlich
auf die Straße setzen. Aber zu dem Zeitpunkt ist sie immun.«
»Was meinen Sie
mit ›immun‹?« fragte Dr. Daruwalla.
»Wenn man auf der
Straße lebt und sehr krank ist, lassen einen alle im Stich. Wenn einem niemand mehr
nahekommt, ist man immun«, sagte der Polizist.
[886] »Und dann könnten
Sie sie finden«, bemerkte Farrokh.
»Dann könnten wir
sie unter Umständen finden«, stellte Patel richtig. »Aber dann wäre es wohl kaum
mehr nötig, ihr zu sagen, was ihr bevorsteht.«
»Da haben Sie recht.
›Vergiß sie.‹ Wollen Sie das damit sagen?« fragte der Doktor.
»In Ihrem Beruf
behandeln Sie verkrüppelte Kinder… das stimmt doch?« erkundigte sich der Kommissar.
»Ja, das stimmt«,
antwortete Dr. Daruwalla.
»Also, ich habe
ja keine Ahnung von Ihrem Metier«, sagte Detective Patel, »aber ich könnte mir vorstellen,
daß Ihre Erfolgschancen etwas besser stehen als die im Rotlichtbezirk.«
»Ich verstehe, was
Sie meinen«, sagte Farrokh. »Und wie stehen die Chancen, daß Rahul gehenkt wird?«
Der Polizist schwieg
eine Weile. Nur die Schreibmaschinen antworteten auf die Frage; sie klapperten regelmäßig
weiter, gelegentlich unterbrochen von dem aufheulenden Motor oder dem mißtönenden
Gebell der Dobermänner. »Hören Sie die Schreibmaschinen?« fragte der Kommissar nach
einer Weile.
»Natürlich«, antwortete
Dr. Daruwalla.
»Der Bericht über
Rahul wird ziemlich lang werden«, versprach ihm Patel. »Aber nicht einmal die sensationelle
Anzahl von Morden wird den Richter beeindrucken. Ich meine, sehen Sie sich doch
an, wer die meisten Opfer waren. Sie waren ohne Bedeutung.«
»Sie meinen, es
waren Prostituierte«, sagte Dr. Daruwalla.
»Genau«, antwortete
Patel. »Also werden wir ins Feld führen, daß Rahul mit anderen Frauen zusammen inhaftiert
werden muß. Anatomisch gesehen ist sie eine Frau…«
»Dann hat sie sich
also vollständig operieren lassen«, unterbrach ihn der Doktor.
»Angeblich ja. Natürlich
habe ich mich nicht selbst davon überzeugt«, fügte der Kommissar hinzu.
[887] »Nein, natürlich
nicht…«, sagte Dr. Daruwalla.
»Worauf ich hinauswill,
ist, daß Rahul nicht mit Männern zusammen inhaftiert werden kann, weil sie eine
Frau ist. Und Einzelhaft ist zu teuer, in Fällen von lebenslanger Haft unmöglich«,
sagte der Detective. »Andererseits gibt es ein Problem, wenn Rahul mit weiblichen
Gefangenen zusammengesperrt wird. Sie ist so kräftig wie ein Mann, und sie hat in
der Vergangenheit Frauen umgebracht. Verstehen Sie, was ich damit sagen will?«
»Sie meinen also,
daß sie womöglich nur deshalb zum Tod verurteilt wird, weil es so problematisch
wäre, sie zusammen mit anderen Frauen einzusperren?« fragte Farrokh.
»Genau«, sagte Patel.
»Das ist unser bestes Argument. Aber ich glaube trotzdem nicht, daß man sie hängen
wird.«
»Und warum nicht?«
fragte der Doktor.
»Weil das fast nie
vorkommt«, entgegnete der Kommissar. »Bei Rahul wird man es wahrscheinlich mit Zwangsarbeit
und lebenslanger Haft probieren. Und irgendwann wird etwas passieren… vielleicht
bringt sie eine Mitgefangene um.«
»Oder sie beißt
jemanden«, sagte Dr. Daruwalla.
»Dafür wird man
sie nicht hängen«, sagte der Polizist. »Aber irgend etwas wird passieren. Und dann
müssen sie sie hängen.«
»Bis dahin dauert
es natürlich noch lange«, vermutete Farrokh.
»Genau«, sagte Patel.
»Und es wird nicht sehr befriedigend sein«, fügte er hinzu.
Das war ein Standardspruch
des Kommissars, wie Dr. Daruwalla wußte. Er bewog ihn dazu, eine ganz andere Frage
zu stellen. »Und was
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