Zirkuskind
Küchengehilfen aufzusteigen, wäre
Farrokh damit vollauf zufrieden. Zu diesem Zweck schrieb er einen freundlichen Brief
an Mr. und Mrs. Das im Great Blue Nile. Obwohl der elefantenfüßige Junge nie zu
einem Artisten ausgebildet werden konnte, lag dem Doktor daran, daß der Zirkusdirektor
und seine Frau Ganesh dazu anspornten, ein brauchbarer Küchengehilfe zu werden.
Dr. Daruwalla schrieb auch an Mr. und Mrs. Bhagwan – den Messerwerfer und seine
ihm assistierende Frau, die mechanische »Himmelsläuferin«. Vielleicht wäre sie so
freundlich, den Elefantenjungen ganz behutsam von seiner albernen Vorstellung abzubringen,
daß er den Deckenlauf lernen könnte. Möglicherweise könnte Mrs. Bhagwan Ganesh zeigen,
wie schwierig diese Nummer war. Vielleicht könnte sie sie den Krüppel an der leiterähnlichen
Vorrichtung in ihrem Wohnzelt ausprobieren lassen; dann würde er schon merken, wie
unmöglich der Deckenlauf für ihn war – und außerdem wäre die Sache ungefährlich.
Was sein Drehbuch
anging, war Farrokh wieder zu dem Titel Limo-Roulette zurückgekehrt, weil ihm Flucht aus Maharashtra übertrieben optimistisch erschien,
wenn nicht überhaupt völlig unwahrscheinlich. Obwohl nur wenig Zeit verstrichen
war, hatte das Drehbuch darunter gelitten. Das Entsetzen, das der Säuremann verbreitete,
die Sensationslust im Zusammenhang mit dem Löwen, der den Star des Zirkus (dieses [910] unschuldige kleine Mädchen) tötet… Farrokh befürchtete, diese Elemente könnten
wie ein Widerhall jener makabren und grausigen Grand-Guignol-Spiele wirken, die,
wie er erkannt hatte, den Kern einer jeden Inspector-Dhar-Geschichte bildeten. Vielleicht
hatte er sich doch nicht so weit von seinem ursprünglichen Genre weggewagt, wie
er sich zunächst eingebildet hatte.
Doch Farrokh bezweifelte
diese Einschätzung seiner selbst, die er in so vielen Kritiken gelesen hatte – nämlich
daß er, wie einen Deus ex machina, stets die verfügbaren Götter (und sonstige künstliche
Ressourcen) zu Hilfe rief, um sich aus seinen verwickelten Geschichten herauszuwinden.
Das richtige Leben war ein Schlamassel, bei dem der Deus ex machina sehr wohl eine
Rolle spielte! dachte Dr. Daruwalla. Man mußte sich bloß ansehen, wie er Dhar und
seinen Zwillingsbruder zusammengebracht hatte – irgend jemand mußte es ja tun! Und
hatte er sich nicht an das glänzende Ding erinnert, das die kleckernde Krähe im
Schnabel gehalten und dann fallen gelassen hatte? Die ganze Welt funktionierte mit
Hilfe eines Deus ex machina!
Trotzdem war der
Drehbuchautor unsicher. Bevor er Bombay verließ, wollte er sich gerne noch mit Balraj
Gupta, dem Regisseur, unterhalten. Vielleicht war Limo-Roulette nur ein kurzer Schlenker für den
Drehbuchautor, aber er wollte Guptas Rat einholen und rief ihn deshalb an. Obwohl
Farrokh überzeugt war, daß sich sein neuer Film nicht für das Hindi-Kino eignete
– ein kleiner Zirkus kam für Balraj Gupta garantiert nicht als Schauplatz in Betracht –, war Gupta der einzige Regisseur, den er kannte.
Dr. Daruwalla hätte
sich davor hüten sollen, mit Balraj Gupta über Kunst zu reden – selbst über unvollkommene
Kunst. Gupta brauchte nicht lange, um die »Kunst« in der Geschichte zu wittern,
so daß Farrokh mit seiner Zusammenfassung gar nicht bis ans Ende kam. »Habe ich
richtig gehört, daß [911] ein Kind stirbt?« unterbrach ihn Gupta. »Bringen Sie es wieder
zum Leben?«
»Nein«, gab Farrokh
zu.
»Kann denn nicht
ein Gott oder sonstwer das Kind retten?« fragte Balraj Gupta.
»Es ist nicht diese
Sorte Film… genau das versuche ich Ihnen zu erklären«, entgegnete Farrokh.
»Gehen Sie damit
lieber zu den Bengalen«, riet ihm Gupta. »Wenn Sie auf künstlerischen Realismus
hinauswollen, sollten Sie das lieber in Kalkutta versuchen.« Als Farrokh nicht antwortete,
sagte Balraj Gupta: »Vielleicht könnte es ein ausländischer Film werden. Limo-Roulette, das klingt irgendwie französisch!«
Farrokh spielte mit dem Gedanken, dem Regisseur zu sagen, daß der Missionar eine
großartige Rolle für John D. wäre; und womöglich hätte er hinzugefügt, daß Inspector
Dhar, der große Star des Hindi-Kinos, eine Doppelrolle spielen könnte: Er könnte
den Missionar spielen und gleichzeitig kurz als Dhar auftreten! Solche Personenverwechslungen
konnten recht unterhaltsam sein. Aber Dr. Daruwalla wußte, was Balraj Gupta zu dieser
Idee sagen würde: »Sollen sich die Kritiker über ihn lustig machen. Schließlich
ist er ein
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