Zirkuskind
beiden
unterbrochen; sie haben nie Zeit, um sich zu unterhalten. Manchmal geht eine Schießerei
los, ein andermal steckt ein Schurke das Hotel (oder das Bett) in Brand. In der
anschließenden atemlosen Hektik bleibt Inspector Dhar und seiner Geliebten kaum
ein Augenblick Zeit, um Freundlichkeiten auszutauschen, weil sie meist um ihr Leben
kämpfen müssen. Aber dann kommt die unvermeidliche Zäsur im Geschehen – eine kurze
Pause vor dem Kugelhagel. Das Publikum, das Dhar bereits haßt, wartet auf die stereotype
Floskel. »Übrigens«, sagt er zu seiner Geliebten, »danke«. So lautete auch John
D.s Botschaft auf der Postkarte aus dem Oberengadin.
ÜBRIGENS, DANKE
Julia
fand die Botschaft rührend, weil beide Zwillinge die Postkarte unterschrieben hatten.
Sie erklärte Farrokh, genauso machten es Frischvermählte bei Weihnachtskarten und
Geburtstagsgrüßen, aber er meinte, genauso würde das (seiner Erfahrung nach) in
Krankenhäusern gehandhabt, wenn jemand ein Gemeinschaftsgeschenk bekam; der Portier
unterschrieb, die Sekretärinnen unterschrieben, die Krankenschwestern unterschrieben,
die anderen Chirurgen unterschrieben. Was war daran so besonders oder »rührend«?
John D. unterschrieb stets mit einem schlichten »D.«. In unbekannter Handschrift
stand auf derselben Postkarte der Name »Martin«. Also waren sie irgendwo in den
Bergen. Hoffentlich versuchte John D. nicht, diesem Narren das Skifahren beizubringen!
»Wenigstens sind
sie beisammen und wissen es zu schätzen«, meinte Julia, aber Farrokh genügte das
nicht. Es brachte ihn fast [915] um, nicht genau zu wissen, wie das Gespräch der beiden
verlaufen war.
Als die Daruwallas
am Flugplatz ankamen, überreichte Vinod dem Doktor weinend ein Geschenk. »Vielleicht
werden Sie mich nie wiedersehen«, sagte der Zwerg. Sein Geschenk war schwer, hart
und rechteckig. Vinod hatte es in Zeitungspapier eingewickelt. Von Schniefern begleitet,
fügte er hinzu, Farrokh dürfe das Paket erst im Flugzeug aufmachen.
Später überlegte
der Doktor, daß Terroristen wahrscheinlich genau dasselbe zu arglosen Passagieren
sagten, denen sie eine Bombe mitgeben. In dem Augenblick ertönte der Metalldetektor,
und Dr. Daruwalla war im Nu von aufgeschreckten Männern mit Revolvern umringt. Sie
wollten wissen, was sich in der Zeitung befände. Was sollte er ihnen antworten?
Ein Geschenk von einem Zwerg? Sie forderten den Doktor auf, den Gegenstand auszuwickeln,
während sie sich in einiger Entfernung hielten; dabei machten sie weniger den Eindruck,
als wollten sie gleich schießen, sondern eher, als wollten sie davonlaufen – »die
Flucht ergreifen«, wie es in der ›Times of India‹ im Zusammenhang mit dem Zwischenfall
hieß. Aber es gab keinen Zwischenfall.
In die Zeitungen
eingewickelt war ein großes Kupferschild. Dr. Daruwalla erkannte es sofort wieder.
Vinod hatte die beleidigende Vorschrift aus dem Lift in Farrokhs ehemaligem Apartmenthaus
am Marine Drive entfernt.
DEM DIENSTPERSONAL IST ES VERBOTEN
– AUSSER IN BEGLEITUNG VON KINDERN –
DEN AUFZUG ZU BENUTZEN
Julia
fand Vinods Geschenk »rührend«, aber obwohl die Sicherheitsbeamten erleichtert waren,
erkundigten sie sich beim Doktor nach der Herkunft des Schildes. Sie wollten sichergehen,
daß [916] es nicht von einem unter Denkmalschutz stehenden Gebäude stammte – daß es
anderswo entwendet worden war, störte sie nicht weiter. Vielleicht gefiel ihnen
das Verbot ebensowenig wie Farrokh und Vinod.
»Ein Andenken«,
versicherte Dr. Daruwalla den Sicherheitsbeamten. Zu seiner Überraschung gestatteten
sie ihm, das Schild zu behalten. Es war mühsam, es ins Flugzeug zu schleppen, und
selbst in der ersten Klasse stellten sich die Stewards ziemlich an, bevor sie es
verstauten. Erst forderten sie ihn auf, es (nochmals) auszupacken; dann ließen sie
ihn mit dem überflüssigen Zeitungspapier sitzen.
»Erinnere mich daran,
daß ich nie wieder mit der Air India fliege«, beschwerte sich der Doktor bei seiner
Frau – so laut, daß ihn der am nächsten stehende Steward auch hören konnte.
»Ich erinnere dich
jedesmal daran«, antwortete Julia, ebenfalls ziemlich laut. Auf die anderen Passagiere
in der ersten Klasse, die das mitbekamen, wirkten die beiden möglicherweise wie
der Inbegriff eines betuchten Ehepaars, das die Angewohnheit hat, einfachere Leute
und Dienstpersonal jeder Art schlecht zu behandeln. Aber dieser Eindruck wäre falsch
gewesen; die Daruwallas gehörten einfach einer Generation an, die
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