Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zirkuskind

Zirkuskind

Titel: Zirkuskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
Filmstar. Aber ein Filmstar sollte sich nie über sich selber lustig machen.«
Farrokh konnte ihn das buchstäblich sagen hören. Außerdem würden die Europäer oder
die Amerikaner, falls sie Limo-Roulette produzierten, die Rolle des Missionars nie mit John D. besetzen;
Inspector Dhar sagte ihnen nichts. Sie würden darauf bestehen, die Rolle einem ihrer
eigenen Filmstars zu geben.
    Dr. Daruwalla schwieg.
Er vermutete, daß ihm Balraj Gupta böse war, weil er mit den Inspector-Dhar-Filmen
Schluß gemacht hatte. Daß Gupta sauer auf John D. war, weil dieser abgereist war,
ohne für Inspector
Dhar und die Türme des Schweigens Werbung zu machen, wußte er bereits.
    »Sind Sie böse auf
mich«, begann Farrokh behutsam.
    [912]  »Aber nein, absolut
nicht!« rief Gupta. »Ich bin nie böse auf Leute, die beschließen, daß sie das Geldverdienen
satt haben. Solche Leute sind echte Symbole der Menschlichkeit, finden Sie nicht
auch?«
    »Ich habe gewußt,
daß Sie mir böse sind«, entgegnete Dr. Daruwalla.
    »Erzählen Sie mir,
welche Rolle die Liebe in ihrem künstlerischen Film spielt«, forderte Gupta ihn
auf. »Dieser Aspekt wird, trotz all der anderen Albernheiten, über Ihren Erfolg
oder Mißerfolg entscheiden. Tote Kinder… warum zeigen Sie den Film nicht den Sozialisten
in Südindien? Denen gefällt er vielleicht!«
    Dr. Daruwalla gab
sich Mühe, das Thema Liebe in seinem Drehbuch so darzustellen, als würde er daran
glauben. Da gab es diesen amerikanischen Missionar, den Möchtegern-Priester, der
sich in eine wunderschöne Zirkusartistin verliebt. Suman war eine richtige Artistin,
keine Schauspielerin, erklärte der Drehbuchautor.
    »Eine Artistin!«
schrie Balraj Gupta. »Sind Sie verrückt? Haben Sie sich mal ihre Oberschenkel angesehen?
Weibliche Artisten haben gräßliche Oberschenkel! Und die Oberschenkel sieht man
im Film in Großaufnahme.«
    »Ich rede mit der
falschen Person. Ich muß wohl verrückt geworden sein«, erwiderte Farrokh. »Wer auf
die Idee kommt, einen ernsthaften Film mit Ihnen diskutieren zu wollen, ist wirklich
und wahrhaftig geisteskrank.«
    »Das verräterische
Wort ist ›ernsthaft‹«, sagte Balraj Gupta. »Wie ich sehe, haben Sie nichts aus Ihrem
Erfolg gelernt. Haben Sie nicht mehr alle Schüsseln im Schrank?« schrie der Regisseur.
»Haben Sie einen Sprung in der Tasse?«
    »Ich glaube, es
muß heißen: ›Haben Sie nicht mehr alle Tassen im Schrank?‹ und ›Haben Sie einen
Sprung in der Schüssel?‹« korrigierte ihn Dr. Daruwalla.
    [913]  »Das habe ich
doch gesagt!« schrie Gupta. Wie die meisten Regisseure hatte Balraj Gupta immer
recht. Der Doktor legte auf und packte sein Drehbuch zusammen. Limo-Roulette kam als erstes unten in den Koffer;
obendrauf packte Farrokh seine Kleidung für Toronto.
    Eben einfach Indien
    Vinod
fuhr Doktor und Mrs. Daruwalla zum Flughafen; er weinte auf dem ganzen Weg nach
Sahar, so daß Farrokh befürchtete, er würde noch einen Unfall bauen. Nicht genug,
daß der schlägernde Zwerg Inspector Dhar als Kunden verloren hatte, jetzt verlor
er auch noch seinen Leibarzt. Es war kurz vor Mitternacht an einem Montag abend.
Quasi als Symbol für das Ende der Dhar-Filme überklebten die Plakatanschläger bereits
einige Werbeplakate für Inspector Dhar und die Türme des Schweigens. Die neuen Plakate warben nicht für
einen neuen Film, sondern kündigten etwas völlig anderes an – Veranstaltungen zum
Lepra-Tag, der morgen, am Dienstag, dem 30. Januar, war. Julia und Farrokh würden
Indien am Lepra-Tag um 2 Uhr 50 morgens mit der Air India, Flug 185, verlassen.
Bombay–Delhi, Delhi–London, London–Toronto (aber man brauchte nicht umzusteigen).
Die Daruwallas würden den langen Flug durch einen mehrtägigen Aufenthalt in London
unterbrechen.
    Dr. Daruwalla war
enttäuscht, daß er, seitdem Dhar und sein Zwillingsbruder in die Schweiz abgereist
waren, so wenig von ihnen gehört hatte. Anfangs hatte er befürchtet, daß sie ihm
vielleicht böse waren oder daß ihre Begegnung nicht erfreulich verlaufen war. Dann
kam eine Postkarte aus dem Oberengadin, auf der ein Langläufer einen zugefrorenen
weißen See überquerte, umrahmt von Bergen und darüber ein wolkenloser, blauer [914]  Himmel.
Der Text, in John D.s Handschrift, war Farrokh ebenfalls vertraut, weil es sich
wieder einmal um einen Standardspruch von Inspector Dhar handelte. Sooft der kaltblütige
Detective in seinen Filmen mit einer neuen Frau geschlafen hat, werden die

Weitere Kostenlose Bücher