Zirkuskind
Lebensunterhalt mit Betteln.
Sie treten auch bei Hochzeiten und sonstigen Festlichkeiten auf, wo sie singen und
tanzen – vor allem aber segnen sie Neugeborene (besonders männliche). Da sich die hijras wie Frauen kleiden, entspricht die
Bezeichnung »Eunuchen-Transvestit« am ehesten dem, was sie sind.
Das manierierte
Gehabe der hijras ist übertrieben feminin, aber ordinär;
sie flirten geradezu unverschämt und stellen sich obszön zur Schau – was bei indischen
Frauen absolut verpönt ist. Abgesehen von der Kastration und der weiblichen Kleidung
tun sie wenig, um weiblich zu wirken. Die meisten hijras wollen nichts von Östrogenen wissen,
und einige zupfen sich die Haare im Gesicht so nachlässig aus, daß der Anblick eines [101] Mehrtagebarts bei ihnen nichts Ungewöhnliches ist. Wenn hijras das Gefühl haben, mißbraucht oder
schikaniert zu werden – oder wenn sie auf Inder treffen, die sich durch die westlichen
Werte haben verführen lassen und folglich nicht an die »heilige« Gabe der hijras, zu segnen und zu verfluchen, glauben –, heben sie einfach ihr Gewand hoch und entblößen schamlos ihre verstümmelten Geschlechtsteile.
Als Dr. Daruwalla
das Drehbuch zu Inspector Dhar und der Käfigmädchen-Killer schrieb, hatte er keinesfalls die
Absicht, die hijras zu beleidigen, von denen es allein in Bombay mehr als fünftausend gibt. Doch als
Arzt konnte er ihre Methode der Entmannung nur ausgesprochen barbarisch finden.
Kastration und sämtliche Operationen, die auf eine Geschlechtsumwandlung abzielen,
sind in Indien illegal, aber die »Operation« eines hijra – sie selbst verwenden dafür das
englische Wort operation – wird von anderen hijras durchgeführt. Der Patient blickt
auf ein Bild der Muttergöttin Bahuchara Mata; da er keine Narkosemittel erhält,
sondern nur mit Alkohol oder Opium betäubt wird, empfiehlt man ihm, sich auf die
Haare zu beißen. Der Chirurg (der freilich kein Chirurg ist) bindet eine Schnur
um Penis und Hoden, um einen glatten Schnitt zu erzielen – denn beides wird gleichzeitig
mit einem einzigen Schnitt entfernt. Dann läßt man den Patienten ungehindert bluten,
da die Männlichkeit als eine Art Gift betrachtet wird, von dem der Körper auf diese
Weise gereinigt wird. Genäht wird nicht; der große Wundbereich wird mit heißem Öl
verätzt. Wenn die Wunde zu heilen beginnt, wird die Harnröhre durch wiederholtes
Sondieren offengehalten. Die faltige Narbe, die entsteht, ähnelt einer Vagina.
Hijras sind nicht einfach Transvestiten.
Vielmehr verachten sie gewöhnliche Transvestiten (deren männliche Geschlechtsteile
unversehrt sind) zutiefst. Diese falschen hijras nennt man zenanas. Jede Welt hat ihre Hierarchie. Bei
den Prostituierten [102] erzielen hijras einen höheren Preis als echte Frauen,
doch warum das so ist, wußte Dr. Daruwalla nicht. Es war nach wie vor heftig umstritten,
ob die hijras, die sich prostituierten, Homosexuelle
waren oder nicht, auch wenn feststand, daß viele ihrer männlichen Kunden sie als
solche in Anspruch nahmen; gleichzeitig ging aus Untersuchungen über halbwüchsige hijras hervor, daß sie sich – bereits vor
ihrer Entmannung – häufig homosexuell betätigten. Doch Farrokh vermutete, daß viele
indische Männer die hijras unter den Prostituierten bevorzugten, weil sie eher wie Frauen waren als echte Frauen.
Sie verhielten sich garantiert gewagter als indische Frauen – und wer weiß, was
sie mit ihrer Beinahe-Vagina noch alles imitieren konnten?
Wenn hijras eine homosexuelle Neigung hatten,
warum sollten sie sich dann entmannen? Dem Doktor erschien es wahrscheinlich, daß
es in den hijra -Bordellen zwar homosexuelle Kunden
gab, aber nicht alle Kunden dort analen Verkehr suchten. Was immer man über hijras dachte oder sagte, sie verkörperten
einfach (oder auch nicht so einfach) ein anderes, ein drittes Geschlecht. Und es
stimmte auch, daß sich in Bombay immer weniger hijras vom Segnen oder vom Betteln ernähren
konnten und immer mehr in die Prostitution gingen.
Wie konnte Farrokh
in seinem letzten Inspector-Dhar-Film ausgerechnet auf einen hijra als Massenmörder und Karikaturisten
verfallen? Jetzt, da ein echter Killer die Elefantenzeichnungen auf den Bäuchen
echter ermordeter Prostituierter nachahmte – die Polizei ließ lediglich verlauten,
daß es sich bei der Zeichnung des echten Mörders um »eine offensichtliche Variation
des Filmthemas« handelte –, hatte Dr. Daruwalla Inspector Dhar in echte
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