Zirkusluft
Dutzend Kameras auf ihn gerichtet sein könnte. Meine Forderung nach dem flächendeckenden Einsatz modernster Videoüberwachung, für die sich, wie Sie wissen, ja auch der Hessische Ministerpräsident schon seit Längerem ausspricht, bekommt durch diese Taten ein noch größeres Gewicht.«
Wieder wippte er mit den Füßen.
»Und lassen Sie mich bitte in aller Deutlichkeit klarstellen, dass ich in dieser Sache weiterhin alles unternehmen werde, eine Lösung im Sinne der Kasseler Bürger herbeizuführen.«
Sein rechter Arm fuhr mit einer pathetischen Geste über die Szenerie der Brandruine hinter ihm. »Auch der ausländischen Mitbürger im Übrigen.«
Die Kamera zoomte auf die Moderatorin.
»So weit der Kasseler Oberbürgermeister Erich Zeislinger , meine Damen und Herren, damit gebe ich zurück ins Studio.«
Wagner drückte auf die Fernbedienung und warf sie auf den Schreibtisch.
»Unser Schoppen-Erich . Wenn der die flächendeckende Videoüberwachung einfordert, könnte er auch gleich zugeben, dass es sich dabei um ein gewerbesteuerhebendes Konjunkturprogramm für VogtSecure handelt.«
»Hätte der alte Vogt denn so viel davon?«, fragte Lenz.
»Worauf du einen lassen kannst. Du glaubst doch nicht im Ernst, dass die beiden einem anderen Anbieter eine Chance lassen würden?«
»Solche Aufträge müssen europaweit ausgeschrieben werden, wenn ich es recht erinnere«, gab Lenz zu bedenken.
»Ich lach mich tot«, erwiderte Wagner feixend. »Diese Vorgaben möglichst elegant zu umgehen, darin sind wir Deutschen mittlerweile besser als die Italiener und Spanier zusammen. Und wenn sie Kassel erobert haben, geht es über Hessen in die ganze Republik.«
Lenz stellte die Kaffeetasse auf den Tisch und stand auf.
»Wie auch immer, meine Parole für heute lautet: ›Mörder finden‹, und du hast sie ausgegeben. Also mach ich mich jetzt auf die Socken und sehe, was ich für dich tun kann. Wenn’s was Neues gibt, melde ich mich bei dir.«
»Sei vorsichtig, Paul. Irgendwie hab ich bei dieser Geschichte kein gutes Gefühl.«
»Wird schon. Mach’s gut.«
»Hallo, Thilo«, begrüßte Lenz seinen Kollegen, der am Schreibtisch saß und in einer Akte blätterte. »Was liest du denn Spannendes?«
»Den Obduktionsbericht von Fehling«, antwortete Hain, ohne aufzublicken.
»Und, hat er was Falsches gegessen, bevor er erschossen wurde?«
»Nein, aber er wurde betäubt, bevor er erschossen wurde.«
Lenz zog sich einen Stuhl heran und setzte sich.
»Was heißt das, er wurde betäubt?«
Der Oberkommissar hob den Kopf und streckte die rechte Hand nach vorne.
» Moin , erst mal.«
»Hab ich schon gesagt«, erwiderte Lenz ungeduldig und deutete auf die Akte.
»Womit wurde er betäubt?«
»Einer ungewöhnlichen Mischung, wie Dr. Franz sich ausdrückt. CS-Reizgas, Xenon und Äther. Er hat an den Rand die Bemerkung geschrieben, dass er über diese Kombination noch nie nachgedacht hat, sie ihm aber schlüssig erscheint, wenn man einen Menschen kurz bewusstlos oder wehrlos machen will.«
»Das würde bedeuten, dass der Täter Fehling erst den Strom abgeknipst hat, um ihm dann in die Beine und den Kopf zu schießen? Was für eine Vorstellung.«
Das Telefon in Lenz’ Büro klingelte. Der Hauptkommissar ging nach nebenan, griff zum Hörer und meldete sich.
»Franz. Hallo, Herr Lenz.«
»Hallo, Herr Doktor. Gerade haben mein Kollege und ich uns mit Ihrem Obduktionsbericht beschäftigt. Vielen Dank, dass das so schnell geklappt hat.«
»Gerne«, antwortete der Rechtsmediziner. »Wir hier in Göttingen tun für die Kollegen in Kassel, was wir können, auch wenn uns eigene Leichen beschäftigen.«
Darauf hinzuweisen, dass Kassel keine eigene Rechtsmedizin unterhielt und auf die Göttinger Kollegen angewiesen war, gehörte zu Dr. Franz’ Standardrepertoire.
»Angekommen, Herr Dr. Franz.«
»Aber das ist gar nicht der Grund meines Anrufs. Mir geht es um den anderen, den ich von ihnen bekommen hab, diesen Türken.«
» Bülent Topuz .«
Im Hintergrund raschelte Papier.
»Genau, Bülent Topuz . Der wurde mit dem gleichen Zeug betäubt wie dieser Architekt, also das erste Opfer.«
»Sind Sie sicher?«
Es entstand eine hässliche Stille in der Leitung.
»Ja, Herr Lenz, ich bin sicher«, kam es patzig aus dem Hörer.
» Sorry , Herr Doktor, ich wollte Ihre Ergebnisse nicht infrage stellen. Und ich danke Ihnen ganz herzlich, dass Sie mich gleich angerufen haben. Gibt es sonst noch etwas
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