Zitadelle des Wächters
Gnarra die Heimat einiger alter Religionen, die momentan nicht beliebt sind oder nicht der vorherrschenden metaphysischen Moderichtung entsprechen oder was auch immer. Und einige wetterfeste Seeleute und andere wachsame Reisende behaupten, die Insel Gnarra sei immer noch der Sitz von okkulten Phänomenen. Obwohl gerüchteweise hier die Heimstatt von Zauberern, Magiern, Geisterbeschwörern und ähnlichem Volk sein soll, finden sich nur wenige Beweise für ihre Tätigkeit in der Welt – sieht man einmal von der Vorstellungskraft einiger überspannter Persönlichkeiten ab.
Um zu einem Schluß zu finden: Die Welt ist gleichzeitig klein und groß. Die verschiedensten Kulturen und Religionen drängeln sich Wange an Wange entlang der Küste der einzigen bekannten befahrbaren Wasserstraße auf diesem Planeten. Was jenseits der bescheidenen Grenzen dieser Orte liegt, weiß kein Mensch. Möglicherweise ist die Welt immer ein Hort der Dunkelheit und Angst gewesen, nur gelegentlich und weit verstreut von einer Fackel erhellt. Doch der Berichterstatter, der „Historiker“, wenn ich mir selbst diesen Titel anlegen darf, will daran nicht glauben.
Nein, ich fühle, daß in jedem Mythos ein Körnchen Wahrheit steckt und in jeder Tatsache ein Körnchen Lüge. Und dazwischen kann alles mögliche stecken. Wir können nicht wissen, was uns noch bevorsteht, und wir können uns weigern, jenes, was bereits stattgefunden hat, wahrzunehmen. Aber ich bin davon überzeugt, daß in den vergrabenen Steinen Lehren für uns liegen, in den bleichen Knochen Warnungen, Testamente in den verrosteten Maschinenhaufen, in den schwarzen Skeletten der Flugzeuge, die unbedeckt von Wind und Sandmassen dastehen, oder in den zerschmolzenen und verborgenen Hüllen der grauen Schiffe, die die Ozeane hin und wieder an unsere Küsten werfen.
Wir können unserer Herkunft nicht den Rücken zukehren – wie immer sie auch gewesen sein mag. Falls es Geheimnisse gibt, müssen wir sie, da wir Menschen sind, auch lösen.
Ein kurzer Kommentar zum Zustand der Welt
(aus dem Handbuch des
Granter von Elahim)
Eins
Zuerst schien es für Varian Hamer kein besonderer Tag zu werden. Aber da irrte er sich.
Während er auf dem Deck der Courtesan stand, beobachtete Varian die letzten Widerspiegelungen der aufgehenden Sonne und wie sich die smaragdgrüne Oberfläche des Aridard-Golfs teilte. Die Brise trug einen leichten Salzgeruch mit sich, und die Geräusche von den großen Docks Mentors schwollen in Varian an wie ein gemeinsames Summen von riesigen Insekten, als dort mit der Arbeit begonnen wurde.
„Nun mal los, ihr Pfeifen! Hoffentlich pumpen die Arme bald! Packen wir’s an!“ Der erste Maat stolzierte im Fo’csle-Schritt herum, starrte seine Männer an und trainierte seine Stimme für einen langen Morgen.
Varian sprang auf der Steuerbordseite an den Webeleinen hoch und erreichte das erste Segel am Besanmast. Während er es losband, wanderte sein Blick über die Landeplätze, wo andere große Golfschiffe sich anschickten, den Anker zu lichten. Wie schon bei seinem Vater war auch für Varian die Seefahrt der einzige Beruf, den er kannte, obwohl er sich wünschte, auch in anderen Berufen erfahren zu sein. Seine Reisen hatten ihn um die ganze Welt geführt. Varian kannte die Straßen und Alleen aller größeren Häfen: Elalium, Vaisya, Talthek, Voluspa, Nostand, Ques’Ryad, sogar Eleusyannia und Landor. Er war neugierig und aufgeschlossen und schien niemals genug von dem Ort erfahren zu können, den er gerade besuchte. Stets fragte sich Varian, was hinter dem Horizont der Golf statte liegen mochte. Ganz sicher bestand
Weitere Kostenlose Bücher