Zitadelle des Wächters
die Welt aus mehr als nur den paar Dutzend Häfen, die sich an die Küsten des Golfs von Aridard drängten.
Varian Hamer war fast zwei Ems hoch – für die Menschen dieser Zeit eine beachtliche Größe. Sein dunkles Haar trug er lang, es wallte lockig bis auf die Schultern hinunter. Er war nicht wie ein Supermann mit Muskeln bepackt, aber auch nicht mager. Varians dunkle Augen funkelten, obwohl sie zu der dunkelgebräunten Haut – dem Kennzeichen eines jeden Golf Schiffers – keinen Kontrast mehr bildeten. Er war im traditionellen Braun und Weiß des Handelsseefahrers gekleidet, wobei das Gewand von einem dicken Gürtel zusammengehalten wurde. An der linken Hüfte trug er ein Kurzschwert. Varian verfügte über große Erfahrung beim Umgang mit Waffen; denn er hatte im Alter von knapp fünfzehn Jahren das Glück gehabt, auf der berühmten Nachtschatten zu segeln, mit der auch ein vielgerühmter Waffenmeister gefahren war. Die Nachtschatten war das schnellste und größte Handelsschiff auf dem Golf gewesen; ihr phantastischer schwarzgoldener Rumpf war in der ganzen Welt als Schönheit und Wunder bekannt gewesen. Fast zwei Generationen lang segelte sie auf dem Golf, und kein Schicksalsschlag, kein Sturm und keine Räuber von Behistar hatten ihr etwas anhaben können. Bis sie eines Tages von einem Bürokraten aus Borat gekauft worden war. Die Nachtschatten wurde mit einer neuen Mannschaft und genug Verpflegung versehen, um die Wassermarke unter die Meeresoberfläche zu drücken. Und sie wurde zu einer Entdeckungsreise ausgeschickt: zu einem Versuch, das Sonnenlose Meer zu überqueren.
Das war das letzte gewesen, was man von dem stolzen und schönen Schiff gesehen hatte.
Varian war auf Grund seiner Jugend und Unerfahrenheit nicht mitgesegelt, aber er fragte sich oft, was aus der Mannschaft geworden war. Einer der Männer war Reg Furioso gewesen, der vielgerühmte Waffenmeister aus Sanda. Als Varian ihn auf der Nachtschatten kennengelernt hatte, war er bereits ein alter Mann. Ein Mann, der genauso hart und unerbittlich agierte wie seine gewaltige Ausstattung an Klingen und Pistolen. Während der vielen Flauten bei den Seereisen durch den Aridard-Golf unterrichtete Furioso den jungen Varian im Gebrauch und in der Kampftechnik von Pike, Breitschwert, Kurzschwert, Säbel, Pistole und Gewehr. Zu jeder Zeit betonte er die Vorherrschaft des Geistes über das Fleisch, denn Furioso hatte sein tödliches Handwerk von den antiken Meistern aus Odo gelernt, dem Sitz der philosophischen Weisheit in der modernen Welt.
Ab jenem Zeitpunkt eignete sich Varian eine Mischung aus Religion, Riten und Philosophien an – alle strebten zur Meisterschaft im Töten und Verstümmeln, aber sie enthielten auch wunderbare Abschweifungen, die einen faszinierenden Weg eröffneten, die Welt zu erschließen und zu sehen. Und so war Varian mit seinen dreißig Jahren ein Experte in allem geworden, was mit gewaltsamem Töten zusammenhing. Im wahrsten Sinn des Wortes gab es tausend Wege, einen Menschen zu töten, und Varian kannte sie fast alle. Solchen Menschen eilt ihr Ruf spektakulär voraus. Und auf Varian kam eine Periode zu, in der er beweisen mußte, ob sein Ruf etwas wert war.
Und Varian stellte sich.
Jetzt war auch Varians selbstaufreibende Ausbildung beendet. Sein Motto hätte sein können: „Mich zwingt keiner nieder!“ Und das entsprach wirklich der Wahrheit.
„Du da!“ Eine Stimme schien Varian wie ein Pfeil zu durchbohren. „Komm da runter!“
Die Stimme des Ersten Maat hatte ihn aus seinen Erinnerungen gerissen. Er war ein hagerer, sehniger Bursche mit öligem Haar, der direkt unter ihm stand.
Varian hangelte sich
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