Zitadelle des Wächters
nicht zu unterschätzender Vorteil erweisen, jemanden mitzuführen, der sich praktisch mit jedermann verständigen konnte, auf den man unterwegs treffen würde.
Aber es gab natürlich noch einen anderen Grund, warum Varian Tessa dabeihaben wollte. Er hatte sich in das Mädchen verliebt. Varian Hamer – dem Frauen beileibe nichts Fremdes waren – war in der Lage, sich selbst gegenüber zuzugeben, daß es bei ihm gefunkt hatte. Er dachte daran, daß möglicherweise die momentane Situation diesen Zustand verstärkte – die Vorstellung, ohne Tessa zu sein oder sie in einer fremden und feindlichen Stadt zurückzulassen, war für ihn unerträglich. Also konnte es doch nichts anderes als Liebe sein. Und damit Ende der Diskussion.
Falls der alte Stoor solche Motive erraten hatte, so schwieg er doch darüber. Entweder achtete er eine solche Gefühlsregung, oder er fürchtete, einen Mann wie Varian Hamer damit zu beleidigen. Daher blieb es dabei.
Ein weiterer strittiger Punkt war der Zweck der Reise. Stoor und Raim hatten sich lange Zeit als Glücksritter herumgeschlagen. Und es machte ihnen offensichtlich Schwierigkeiten, in anderen Kategorien als denen des Geldes zu denken und die damit verbundene Käuflichkeit zu akzeptieren. In der Vergangenheit waren alle ihre Expeditionen von außen finanziert worden, und ihr Anteil in den Unternehmungen war festgelegt und abgesichert gewesen. Aber bei diesem neuen Plan trugen sie das volle Risiko. Und die Teilnahme eines weiteren Mitglieds würde die erhofften Gewinne schmälern und die Möglichkeit der Konkurrenz von Leuten, die man nicht kannte, erhöhen.
Alle diese Punkte wurden lang und breit in den Kneipen, den Höfen, auf den Plazas und in den prächtigen Gasthöfen und Bibliotheken von Ques’Ryad diskutiert.
Man entschied sich gegen eine Schiffsreise, weil diese Möglichkeit als zu gefährlich angesehen wurde. Ein Segelschiff war ein eigener Mikrokosmos, in dem man ein Geheimnis schlecht bei sich behalten konnte, besonders dann, wenn mehr als eine Person davon Kenntnis hatte. Mochte eine Schiffsreise auch noch so bequem, sicher und schnell sein, diese Möglichkeit wurde abgelehnt. Daher wurde der Erste Maat der Courtesan davon in Kenntnis gesetzt, daß Varian und die Kombüsenhilfe Tessa zur Rückreise nach Mentor nicht an Bord sein würden.
Allerdings war auch die Idee, die bekannte Welt zu Fuß oder auf dem Rücken eines Pferdes zu durchreisen, sehr verwirrend. Stoor wollte diese Schwierigkeit lösen, indem er einen reichen Kaufmann in Zend Avesta aufsuchte, der ihm noch den einen oder anderen Gefallen schuldete. Anscheinend war Stoor in den letzten Jahren im Auftrag dieses Händlers herumgereist, um Artefakte aus der Ersten Zeit für dessen Sammlung und sein Privatmuseum zu finden, das sich in seiner Villa hoch über der Grünewald-Bucht befand. Mehrere Male war Stoor losgeschickt worden, ganz bestimmte Stücke zu suchen. Und wenn er Erfolg hatte, wollte der Kaufmann ihm immer einen besonderen Gefallen tun. Aber Stoor hatte das für den Moment stets ausgeschlagen, ahnte er doch, daß eines Tages die Zeit gekommen sein würde, alle Gefallen auf einmal zu erbitten.
Und diese Zeit war jetzt da.
Vor zehn Jahren hatte Stoor unter den Sandmassen, die die Barrikaden der Maaradin-Festung bedeckten, eine Maschine aus der Ersten Zeit gefunden: einen Mannschaftstransporter, teilweise gepanzert, rundum Kettenantrieb, leichte Bewaffnung und äußerlich noch völlig in Ordnung. Irgendwie war er der Zerstörung lange genug entgangen, um unter der sich ständig verschiebenden Oberfläche begraben zu werden. Und dort
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