Zitadelle des Wächters
hatte das ultratrockene Klima ihn konserviert. Äußerlich war er noch gut in Schuß, nur die beweglichen und elektronischen Teile des Antriebs und der navigatorischen Hilfsanlagen waren korrodiert, teilweise sogar bis zu einem gewissen Grad zerfallen. Oder anders ausgedrückt: Er fuhr nicht mehr.
Doch wenn er auch fahruntüchtig war, in Zend Avesta wurde er wieder zum Laufen gebracht. In diesem Staat genoß der Geist die größte Freiheit, und an diesem Ort sah sich keine Veränderung von alteingesessenen Traditionen behindert. Die Naturwissenschaftler und Techniker von Zend Avesta examinierten auf Einladung des reichen Kaufmanns das antike Gefährt Zentimeter für Zentimeter. Sie konnten viel aus seiner Konstruktion erlernen: vor allem die Grundlagen eines Selbstantriebs. Und aus dieser wichtigen Entdeckung rührten die Traktoren und anderen einfachen Fahrzeuge her, die mittlerweile überall in Zend Avesta anzutreffen waren. Die Ingenieure des Landes entwickelten schon bald einen mit Methangas betriebenen Antrieb (das Gas wurde aus Tierkot gewonnen) und ersetzten damit den Benzinantrieb, den man im MTW gefunden hatte.
Und es dauerte nicht mehr lange, da wurde der MTW nur noch als Kuriosität angesehen, als Prototyp, aus dem weitaus effektivere Maschinen entwickelt werden konnten. Daher verbrachte das Fahrzeug seine weiteren Tage im ersten Stock des Privatmuseums jenes Kaufmanns, wo Angestellte es täglich abstaubten.
Bis zu dem Tag, an dem Stoor von Hadaan dem Kaufmann einen unerwarteten Besuch abstattete.
An diesem Nachmittag saßen Stoor und Varian in der Frontkabine des MTWs, der über das offene Land östlich der Bucht walzte. Tessa und Raim waren im hinteren Raum damit beschäftigt, Treibstoff und Verpflegung einzulagern.
„Ich kann es immer noch nicht glauben, daß irgendjemand dir einen solchen Gefallen schuldet“, sagte Varian.
Stoor warf den Kopf zurück und lachte.
„Nein, ehrlich, ich meine, es ist alles so unwirklich!“ Varian betrachtete das Fahrzeug wie ein kleiner Junge sein neues Spielzeug. Der MTW war ein mechanisches Wunder! Ein Wunder, von dem er nicht glaubte, daß die Welt sich je daran gewöhnen könnte.
„Nein, nein“, sagte Stoor. „Es ist kein Wunder, wenn man bedenkt, daß mein Freund für diesen Kasten sowieso keinen Gebrauch mehr hatte. Seine Leute können einen solchen MTW nachbauen, wann immer er dies wünscht. Aber die Welt braucht Traktoren, keine MTWs. Davon abgesehen habe ich dem Kaufmann versprochen, ihm etwas noch viel Wertvolleres als diesen Klapperkasten mitzubringen!“
„Du lieber Himmel! Was denn?“
Wieder lachte Stoor. „Mach dir keine Gedanken darüber. Falls wir finden, was wir suchen, wird der Kaufmann unsere geringste Sorge sein.“
„Wo fahren wir denn zuerst hin?“
„Wir gehen ganz logisch vor und suchen alle großen Wüsten und ähnlich öden Gebiete ab. Wir haben doch beide den gleichen Hinweis erhalten – ein sandiger Ort, nicht wahr?“
„Und wenn dieser nicht in der bekannten Welt liegt?“
„Du meinst, irgendwo hinter …?“
Varian nickte.
„Dann fahren wir auch dorthin“, sagte Stoor. „Ich bin schon ziemlich tief in die Manteg eingedrungen. Und die scheint nirgendwo aufzuhören. Ich weiß nicht, ob es überhaupt jemand einmal geschafft hat, sie ganz zu durchqueren. Und dasselbe gilt für das Schlackenland.“
„Aber vielleicht sind wir zu einer solchen Tour gezwungen, nicht wahr?“
„Schon möglich. Alles ist möglich. Gib mir mal die Karte.“
Stoor zeigte auf eine kleine Stahlkiste am Kabinenboden. Varian öffnete sie und zog eine Weltkarte heraus, die aus einer zusammengefalteten, bedruckten Ölhaut bestand.
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