Zitadelle des Wächters
Neues entdecken. Stoor hätte sicher genausoviel Spaß daran, in der Manteg Sphindern und Rieseneidechsen zu jagen. Aber jetzt wollte er die Zitadelle finden, und er zeigte nichts von der Erregung oder Aufregung, die solch ein Unternehmen normalerweise in einem auslösen mußte.
Schweigend saßen sie eine Weile da, und Varian dachte weiter über die Gruppe nach, mit der er sich zusammengetan hatte. Stoor war von einem Geheimnis umgeben, und das würde so bleiben, bis die Zeit sich entschloß, seine wahre Natur preiszugeben. Raim, sein unzertrennlicher Gefährte, war schon etwas leichter zu verstehen. Das, was Varian an Informationen aus vereinzelten Bemerkungen über den kleinen, muskulösen Mann hatte aufschnappen können, besagte, daß Raim aus Maaradin und ein Kurier für eine Firma in Borat gewesen war. Seine Zuverlässigkeit und sein Mut standen damals in gutem Ruf, und er erhielt die schwierigsten Aufträge, wie etwa diplomatische Noten durch die ganze Welt zu befördern. Bis zu dem Zeitpunkt, da ein Piratenschiff aus Behistar seine kleine Fregatte überfiel und eroberte. Raim wurde gefangengenommen und nicht sofort ermordet, denn ein Bandenführer erkannte ihn als Spitzenkurier. Da Raim seine Botschaft beim ersten Anzeichen der Banditen über Bord hatte verschwinden lassen, konnte er den Piraten keine Informationen von größerer Bedeutung mitteilen. Aber sie nahmen Raim mit in ihre Räuberhöhle und folterten ihn.
Obwohl Raim bis zum Ende standhaft geblieben wäre und keine Informationen preisgegeben hätte, wußte er nichts von Bedeutung, was den Verbrechern nicht ohnehin schon bekannt war. Weil er sich zu weigern schien, mit ihnen zusammenzuarbeiten, schnitten die Banditen Raim zur Strafe die Zunge ab und verschleppten ihn zu einem grausamen Tod in den Samarkesh Burn. Dort fand ihn der alte Stoor. Der alte Mann befand sich gerade selbst auf der Flucht vor den barbarischen Verbrechern. Stoor pflegte Raim gesund und brachte ihn aus dem Burn heraus. Unterwegs trafen sie auf einen Zug Heimwehrsoldaten aus der Maaradin-Festung. Raim gab sein Leben in Stoors Hand und war ihm seitdem nie von der Seite gewichen. Das war vor zwanzig Jahren gewesen und hatte sich als dauerhafte Verbindung erwiesen. Dieser letzte Gedanke ließ Varian an die möglichen sexuellen Vorlieben der beiden Männer denken. Er ließ diese Idee noch etwas in seinem Kopf herumspuken, ohne sich jedoch allzu ernsthaft mit dieser Vorstellung abzugeben.
Auch Tessa nahm einen großen Teil seiner Gedanken ein. Beide steckten jetzt in einem Abenteuer, das sie vierundzwanzig Stunden am Tag Zusammensein ließ. Ein Test würde es für sie beide, für jeden, werden. Rauhes, unbekanntes Land stand ihnen bevor, und für lange Zeit würde jede Möglichkeit fehlen, für sich allein zu sein. Jeder würde die anderen bis aufs I-Tüpfelchen kennenlernen, und die üblichen Entdeckungen würden sicher nicht ausbleiben – im Guten wie im Bösen, warum einer dies oder jenes tat und wie er es tat, zum Vergnügen oder zum Nachteil der anderen. Aber Tessa war für Varian etwas ganz Besonderes. Varian ertappte sich dabei, wie er selbst in den unmöglichsten Momenten an das Mädchen dachte – und es war Varian klar, was das zu bedeuten hatte. Sein Leben hatte bisher aus einer Kette von „Hallo“ und „Auf Wiedersehen“ bestanden. Letztendlich hatte er immer gewußt, daß er nur für sich selbst lebte, daß er nur für sein Leben gekämpft, getötet und sich herumgetrieben hatte. Nie hatte er sich Zeit genommen, sich über jemand anderen Gedanken zu machen. Aber jetzt war es soweit gekommen. Warum? Die Frage stellte
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