Zitadelle des Wächters
sein Leben für dich hingeben?“
„Was?“
„Raim. Steht er bei dir nicht im Wort? Hast du nicht überall verbreitet, daß du ihm vor langer Zeit das Leben gerettet hast und er dir deshalb auf ewig zu dienen verpflichtet ist?“
„Ja, aber …“
„Damit schuldet er dir ja, in gewissem Sinne, sein Leben. Und ich bin mir ganz sicher, daß er, wenn du ihn bitten würdest, sich zu opfern, um den anderen zu helfen, dies ohne Widerspruch tun würde.“
„Vielleicht täte er das … doch das wäre allein seine Entscheidung, nicht meine.“
„Wirklich? Vor Jahren hast du dich entschieden, sein Leben zu retten. Damit hattest du die Schwelle zur Kontrolle seines Lebens und Sterbens überschritten – aus welchem Grund solltest du jetzt davon Abstand nehmen?“
„Nein, es ist nicht recht!“
„Es gibt hier keine Entscheidung zwischen Recht und Unrecht. Man muß alles so nehmen, wie es ist. Deine Bitte an Raim ist nur eine Formsache. Und das weißt du auch.“
„Und du willst von mir, daß ich an seiner Stelle entscheide. Ihm sozusagen das Stichwort gebe?“
„Es ist unumgänglich, daß es so abläuft, glaube mir. Worüber wir hier reden, ist eine uralte ethische Grundfrage. Und die Antwort muß jedesmal aufs neue erwogen und gegeben werden, sooft die Frage wieder gestellt wird.“
„Wovon redest du eigentlich?“
Zeus Augen trieben einen Moment lang ab, als erinnere er sich an etwas. „Einst wurde einem Mann namens Agamemnon angetragen, seine Tochter zu opfern …“
Stoor ruckte den Kopf hoch und starrte Zeus intensiv an. Natürlich!
Bei den letzten Worten war es ihm wieder eingefallen. Er wußte jetzt, wo er den Namen schon einmal gehört hatte …
„… und die Tochter“, sagte Stoor, „hieß Iphigenie!“
Jetzt war es an Zeus, verwirrt zu sein. „Das weißt du? Woher?“
Stoor lächelte. „Nach allem, was ich gehört habe, wurde sie für eine Frau getötet, die Artemis hieß. Das ist nicht zufällig ein anderer deiner Namen, oder?“
„Nein, aber sie ist eine Freundin von mir. Wir tun uns gelegentlich einen Gefallen.“
„Das kann ich mir lebhaft vorstellen.“
„Ich bin … überrascht, daß du von uns weißt“, sagte Zeus, nachdem er seine Fassung zurückgewonnen hatte. „Aber das ändert nichts an meinem Vorschlag.“
Stoor lächelte. „Ich werde dir darauf antworten, doch zuerst mußt du mir entgegenkommen.“
„Entgegenkommen?“
„Sag mir die Wahrheit, einverstanden?“
„Ich lasse nicht mit mir handeln.“
„Dann kann ich mich auch nicht mit deinem Angebot befassen“, sagte Stoor.
Beide schwiegen, und Zeus wurde langsam ungeduldig. „Also gut, was willst du wissen?“
„Das hier ist doch nicht real, oder?“
„Was willst du damit sagen?“
„Ich meine, das hier ist doch so etwas wie eine Illusion, eine Art Spiel oder so etwas Ähnliches, nicht wahr?“
„Wie soll ich das verstehen?“ Äußerlich blieb Zeus ruhig, aber der Klang seiner Stimme verriet etwas von seiner Unruhe.
„Ich will sagen, du kannst uns in Wirklichkeit gar nicht zur Flucht verhelfen, genausowenig, wie du wirklich Raim das Leben nehmen würdest, sollte ich es dir geben … denn in Wahrheit existierst du gar nicht!“
Zeus lächelte. „Alter Stoor, du bist ein zäher, alter Mann …“
„Also habe ich doch recht!? Es stimmt, nicht wahr?“
„In gewisser Weise.“
„Was, bei Krell, hat das denn nun schon wieder zu bedeuten?“
„Daß ich wirklich nicht über die Macht verfüge, wie du gesagt hast, daß das Ganze hier nicht unbedingt das ist … was es zu sein scheint.“
„Hört sich an, als wolltest du eigentlich nur etwas wissen. Etwas in Erfahrung bringen …?“
Zeus nickte. „Bitte, sag es mir jetzt. Was würdest du tun? Ihn opfern?“
Stoor besah sich genau das Gesicht des Mannes, der vorgab, Zeus zu sein. Irgend etwas war in den Augen dieses Mannes
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