Zitadelle des Wächters
spielte weiter. Daraufhin hörte das Untier damit auf, wild in die Luft zu beißen. Es fiel auf die Knie und legte sich hin, als sei es berauscht von der lyrischen Musik.
Raim wußte kaum noch, was er spielte, so sehr beeindruckte ihn die Wirkung seines Spiels. Er passierte den Wachhund – welchen anderen Zweck sollte das Ungeheuer wohl erfüllen? – und betrat einen riesigen Raum. Dort entdeckte er einen Mann, der einen großen Felsbrocken einen unglaublich steilen Hang hinaufschob. Der Mann hielt inne, um Raims Musik zu lauschen. Genauso geschah es auch bei einem anderen Mann, der an ein großes Rad gebunden war, und unglaublich vielen anderen Leuten, die allesamt Torturen erlitten, die ein schrecklicher Rächer sich ausgedacht haben mußte. Raim folgte dem Irrlicht immer weiter und gelangte schließlich an einen schwarzen Fluß. Am anderen Ufer drängten sich Menschenmassen und lauschten wie gebannt der Musik. Raim blieb stehen und spielte weiter, bis er einen Fährmann sah, der mit einem flachbodigen Boot auf ihn zufuhr.
Am Heck des Bootes saß eine zierliche, dunkelhaarige Frau: Marise!
So sehr überraschte ihn der Anblick, daß er fast vergessen hätte, weiterzuspielen. Doch voller Furcht erinnerte er sich an die Worte des Kapuzenmannes. Mit größter Anstrengung blies er weiter, als der Fährmann, ein abgemagerter Bursche und über und über mit Ausschlag bedeckt, Raims liebreizender Frau beim Aussteigen behilflich war. Sie bewegte sich immer noch mit der vertrauten Grazie und Gewandtheit, an die er sich so gut erinnern konnte. Das Herz tat ihm in der Brust weh und ermöglichte so noch schmerzlichere, noch schönere Musik.
Rasch wandte er den Blick ab und folgte wieder dem Irrlicht. Zögernd schritt Raim auf dem Pfad zurück. Er strengte sich an, Marises Schritte hinter sich zu hören, aber er konnte sie nur ausmachen, wenn es in seiner Melodie eine kurze Pause gab oder in den Zeitspannen, da seine eigenen Schritte kein Echo von den kalten Wänden der Höhle warfen.
Sie kamen wieder an den Stätten der Tortur vorbei, und erneut hielten alle inne, um die Flucht der beiden aus der Dunkelheit zu beobachten. Während Raim vorankam, dem Irrlicht folgte und die Arthis spielte, bemerkte er, daß die Höhlenwände allmählich heller wurden, sich langsam, aber stetig in die Korridore der Zitadelle zurückverwandelten. Er kam an dem dreiköpfigen Wolfshund vorbei, der immer noch an seinen Fels gefesselt war und sich erneut von Raims Musik lähmen ließ.
Fast hatten sie die Freiheit erreicht, bald lag die Stätte des Todes hinter ihnen. Er dachte nur noch an Marise, und er wollte glauben, daß sein merkwürdiges Traumabenteuer der Wahrheit entsprach. Er wollte wissen, ob sie ihm tatsächlich folgte. Ihm kam es vor, als hätte er schon seit langer Zeit nicht mehr ihr Atmen, ihren Schritt, rein gar nichts mehr von ihrer Anwesenheit vernommen.
Ein Stück voraus konnte Raim sehen, wie der tunnelartige Höhlengang sich in die stählerne Ebenheit der Zitadelle umwandelte. Fast war es soweit. Die Freiheit war zum Greifen nahe. Marise! Marise! Ihr Name versetzte ihn in Erregung, und als er an der Schwelle zum Gang stand, drehte er sich um, um Marise an der Hand zu nehmen und sie an sich zu ziehen. Oh, wie sehnte er sich danach, sie noch einmal an seine Brust zu drücken.
Aber dies wurde ihm verwehrt.
Seine liebreizende Braut, die sich so nahe hinter ihm befand, streckte die Arme nach ihm aus, aber ihr Gesicht drückte Schmerz, Traurigkeit und Niedergeschlagenheit aus. Als er ihre kleinen Hände berührte, begann sie zu verblassen, dahinzuschwinden wie Rauhreif an einem Herbstmorgen.
Marise! Ihr Name brannte in seinem Bewußtsein, als ihm bewußt wurde, daß er sie
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