Zitronen im Mondschein
Goldmann.
»Da sind Sie ja nun endlich«, sagte Herr Goldmann ungehalten, als könne er ihre Gedanken lesen.
»Verzeihen Sie die Verspätung, aber ich kam nicht durch. Vor dem Kaufhaus gibt es einen Aufmarsch …«
»Das übliche dumme Zeug«, unterbrach sie Herr Goldmann. Maria fragte sich, ob er damit die Nazis meinte oder ihre Entschuldigung.
Während sie den Koffer mit den Warenproben auf einem kleinen Tisch öffnete, zündete er sich eine Zigarre an. Sie wartete darauf, dass er neben sie trat, aber stattdessen ging er zu dem kleinen Fenster und starrte hinaus. »Diese Tölpel schlagen sich die Köpfe ein – es ist nicht zu fassen«, murmelte er,als könne er aus seinem Fenster auf den Hindenburgwall sehen, dabei führte es auf einen kleinen Lichthof hinaus. »Kommunistenpack.«
»Die Nazis waren zuerst da«, meinte Maria, obwohl es nicht sehr klug war, ihn zu belehren, bevor er seine Bestellung ausgefüllt hatte.
»Die Nazis sind die gleichen Schwachköpfe. Mit ihrem Judenfanatismus. Als ob es einen Unterschied machte, für wen man arbeitet. Jude, Christ, so lange am Ende der Woche das Geld in der Tüte stimmt – was macht es für einen Unterschied?« Dabei drehte er sich um und sah Maria herausfordernd an.
»Keinen«, sagte Maria. »Hier sehen Sie nun meine Muster! Die Perlenarmbänder sind ein ganz neuer Entwurf und werden ausgesprochen gern geordert. Das Stück zu …«
»Ja, ja«, sagte Herr Goldmann ungeduldig. »Ich nehme die übliche Bestellung. Packen Sie nur wieder ein! Ich weiß gar nicht, warum ich immer mit solchen Nichtigkeiten belästigt werden muss.« Er blies eine Wolke grau-weißen Rauchs aus und musterte Maria drohend, während sie ihren Musterkoffer wieder schloss. »Einige ihrer Ideen sind ja durchaus vernünftig, haben Hand und Fuß, sozusagen. Aber dieser Judenhass und dieses abscheuliche Gebaren der SA. Das muss sich ändern, bevor man sie wählen könnte.«
»Ganz recht«, sagte Maria, die gar nicht mehr richtig hinhörte. Sie schob ihm zwei Bestellblätter über den Tisch, die sie vorher schon ausgefüllt hatte, wobei sie die Bestellmenge vorsorglich fast verdoppelt hatte.
»Was kann man gegen einen Juden wie Tietz schon haben?«, sagte Herr Goldmann, während er seine Unterschrift unter die Blätter setzte. »Über eintausend Arbeitskräfte beschäftigen wir in unserem Haus, daran kann doch keiner etwas aussetzen.«
»Vielen Dank, Herr Goldmann«, sagte Maria und steckte eines der Blätter ein, nachdem sie die Unterschrift trocken geblasen hatte. Goldmann, dachte sie dabei, ob das ein jüdischer Name war? Aber was spielte das für eine Rolle? Sie hatte ihrenAuftrag, jetzt mussten sie und die Mädchen das Ganze nur irgendwie bewältigen.
Sie bekam Mirabella kaum noch zu sehen. Vermutlich lag es an ihrer Affäre mit dem Kommunisten, dachte Maria, aber dann korrigierte sie sich selbst in Gedanken. Eine Affäre war etwas Leidenschaftliches, Leichtsinniges. Ein Abenteuer. Mirabella hatte keine Affäre.
»Wir sind verlobt«, erklärte Mirabella, als Maria sie darauf ansprach. »Anselm und ich.«
»Anselm heißt er?«, fragte Maria. Was für ein Name für einen Kommunisten! »Warum hast du ihn mir nie vorgestellt?«
Mirabella war vorbeigekommen, als Maria gerade das Haus verlassen wollte, den ungeduldigen Rufus an der Leine. Mirabella hatte Kuchen aus der Rheinterrasse dabei, aber Rufus zog an der Leine und winselte, also legten sie das Kuchenpaket oben auf die Briefkästen und gingen in den Hofgarten.
Es war zu heiß zum Spazierengehen. Rufus machte seinen Haufen in ein Blumenbeet, dann legte er sich hechelnd neben die Bank, auf der Mirabella und Maria saßen. Mirabellas Haare waren am Hinterkopf zusammengesteckt, darüber saß ein Strohhut. Gudrun, Hilde, Elfie, Maria selbst, sie alle hatten ihre Zöpfe längst abgeschnitten. Mira war die Einzige, die ihre Haare noch lang trug. Warum lässt sie sich so gehen? dachte Maria. Diese mausgraue Jacke über der verblichenen Bluse – wer trägt denn heutzutage so etwas? Sie könnte so hübsch aussehen, mit ein bisschen Farbe, ein wenig Schminke im Gesicht.
»Er ist Kommunist, habe ich gehört?«, fuhr sie fort, als Mirabella nicht antwortete.
»Hast du das?«, gab Mirabella zurück. »Dann muss es ja wohl stimmen.«
Sie zog den grauen Jackenkragen nach oben, als wollte sie sich dahinter verstecken.
Wie sind die Dinge zwischen euch? wollte Maria fragen. Behandelt er dich gut, wollt ihr heiraten, willst du eigentlich ein
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