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Zitronen im Mondschein

Zitronen im Mondschein

Titel: Zitronen im Mondschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mayer Gina
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er zu Fuß nach Hause, ohne sich noch einmal nach Pechstein umzuschauen, der vielleicht ebenfalls nach Hause gegangen war, zu Frau und Kind oder zu Rosa. Er schwankte, als er den neuen Club verließ, aber in der eiskalten Berliner Luft wurde er langsam, Schritt für Schritt, wieder klarer im Kopf, und als er endlich an seinem Mietshaus am Nollendorfplatz angekommen war, war er ganz nüchtern. Im Zimmer zog er die Schuhe aus und zwei weitere Paar Socken an, dann legte er sich mit allen Kleidern ins Bett. Er zog die Knie zur Brust und den Kopf zu den Knien und machte sich klein und rund und spürte gleichzeitig, wie sich die Kälte in seinem Körper reckte und ausdehnte.
Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut
, hörte er van Hoddis ruhige, drohende Stimme wieder rezitieren.
In allen Lüften hallt es wie Geschrei.
Und als er die Augen schloss,sah er die Augen des Dichters vor sich, wie sie ins Leere, Schwarze starrten. Sie sagen, dass er halb irrsinnig ist, dieser van Hoddis, dachte Ludwig, während die Müdigkeit in seinem Körper gegen die Kälte kämpfte. Aber er ist nicht verrückt, er sieht nur mehr als wir alle. Es klingt eigentlich so lustig, das Gedicht, das er da geschrieben hat, aber wenn man darüber nachdenkt, ist es nicht lustig. Es ist fürchterlich.
Und an den Küsten, sagt man, steigt die Flut.
Kurz bevor er einschlief, sah er einen Dachdecker fallen und danach eine Eisenbahn, aber sein letzter Gedanke war wie in jeder Nacht: Maria.

II.
    Es war das erste Mal, dass er Fresken malte. Die Technik hatte er schnell verstanden, es war nicht so schwer, vor allem dann nicht, wenn man sich um die Kosten der Materialien keine Gedanken zu machen brauchte. Das Teuerste war für Castenow gerade gut genug, denn von Kunst verstand er nichts, aber von Preisen umso mehr, und wenn etwas ordentlich kostete, dann war es gut, so einfach war das für ihn. Ludwig lehnte sich weit über die Leiter hinaus und übertrug mit dem Graphitstift einen feinen Punkt auf das Raster, das er auf der Wand angebracht hatte. Wenn alles gut ginge, wären die Vorbereitungen morgen abgeschlossen, dann könnte er mit dem Ausmalen beginnen, und von da an wäre es noch eine Woche, dann wäre er hier im Entree fertig und konnte mit dem Treppenhaus beginnen.
    Mit Kunst hatte das nichts zu tun. Es war Handwerk, solides, ehrliches Handwerk. Die Götterfiguren hatte er von griechischen Vasen und Tellern und Mosaiken abgezeichnet, fast zwei Wochen lang war er dafür jeden Tag im Neuen Museum gewesen. Der Rest war Mathematik: die Übertragung der Gestalten vom Papier im gleichen Maßstab auf die Wand.
    »Fallen Sie nur nicht von der Leiter im künstlerischen Überschwang!« Eine helle Mädchenstimme erschreckte ihn so, dass er wirklich beinahe das Gleichgewicht verloren hätte. Direkt unter ihm tauchte ein hellblonder Mädchenkopf auf, die Haare kurz geschnitten und in eine flotte Wasserwelle gelegt.
    »Fräulein Lieselotte!« Sie brachte ein Tablett mit Kaffee. Obwohl er gerade erst angefangen hatte, sollte er schon wieder Pause machen. So war das wohl bei den reichen Leuten. Oder vielleicht auch nur bei den Castenows, was wusste er schon davon.
    »Nennen Sie mich Lilly – wie oft soll ich Ihnen das noch sagen!Fräulein Lieselotte, das klingt, als wäre ich eine fünfzigjährige Gouvernante.«
    »Lilly«, wiederholte er folgsam und stieg von der Leiter. Lilly, das klang allerdings nicht nach Gouvernante, sondern eher nach einer Katze. Und das passte, sie war wirklich wie eine blonde, geschmeidige Katze, mit ihren grünen Augen und langen Gliedmaßen.
    Sie stellte das Tablett auf einem kleinen runden Tisch am Fenster ab, schenkte Kaffee ein und reichte ihm eine Tasse, dabei berührten sich ihre Hände. »Sie nehmen Zucker, wenn ich es recht erinnere.« Sie warf ihm zwei Zuckerwürfel in die Tasse und rührte um, bevor er antworten konnte. Er nahm für gewöhnlich nur einen, aber es erschien ihm kleinlich, sie darauf hinzuweisen.
    Er trank einen Schluck Kaffee, während sie das Rastergitter an der Wand begutachtete. »So gehen Sie also vor«, murmelte sie. »Ich hätte es gerne selbst gemacht, aber mein Vater wollte es nicht zulassen.«
    »Sie hätten es gerne selbst gemacht?«, fragte er ungläubig lachend. »Die Fresken?«
    »Sicher, warum nicht?«, sagte sie ruhig. Sie schlug ihre langen Wimpern hoch und betrachtete ihn aus ihren flaschengrünen Augen. Er merkte, wie sich sein Lächeln in nichts auflöste.
    »Ich male – das habe ich Ihnen doch

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