Zitronen im Mondschein
denn immer noch nichts begriffen, Wunder? fragte er sich selbst. Damals bei Maria hatte er schon denselben Fehler gemacht. Er hatte ihr gezeigt, was er für sie fühlte, was sie für ihn bedeutete – wie sehr er sie liebte. Als sie sich seiner so sicher gefühlt hatte, hatte sie ihn verlassen.
Denn so sind die Weiber, hatte Pechstein ihm einmal erklärt, kurz nachdem sie sich kennengelernt hatten. Sie sind verrückt nach dir, wenn du sie zappeln lässt. Wenn du dich rar machst und sie spüren lässt, dass du auch noch andere Eisen im Feuer hast. Aber wenn du dich ihnen hingibst, verlieren sie das Interesse.
Pechstein hatte recht. Deshalb folgte ihm seine Charlotte nun ans andere Ende der Welt, sogar ihren kleinen Sohn wollte sie zurücklassen, nur um bei Pechstein zu bleiben.
Ludwig selbst hatte dagegen alles falsch gemacht. Deshalb hatte er Maria verloren. Deshalb hielt ihn diese Lilly nun zum Narren, aber noch war es nicht zu spät, noch konnte er zurück. Er drehte dem Spiegel den Rücken zu und starrte die Wand an, eine riesige weiße Fläche, die sich vom Erdgeschoss bis unter den Giebel zog, drei Stockwerke hoch. In einigen Wochen würden hier griechische Göttergestalten entlangtanzen, Zeus mit dem Blitz, Bacchus mit seinen betrunkenen Gefährten und Gespielinnen. Pan, halb Bock, halb Gott. Langsam ging er wieder nach unten.
Abends feierte Pechstein seinen Abschied im Romanischen Café. In zwei Wochen wollte er zur Südsee aufbrechen. Viele Maler waren eingeladen, ein paar Musiker, Dichter, die Journaille. Ludwig kam um acht und war einer der Ersten, für gewöhnlich gingen die Feiern im Romanischen Café immer erstgegen zehn Uhr los. Am Stammtisch saß Pechstein mit Liebermann, Ludwig hatte keine Lust, sich dazuzusetzen. Da sie ihn noch nicht gesehen hatten, schlich er sich nach oben auf die Empore zu den Nichtschwimmern, er setzte sich so, dass er den Tisch unten im Blick hatte, aber selbst nicht gesehen werden konnte.
»Der Herr Wunder.« Das war die Rosenblatt, die sich jetzt neben ihn setzte, ohne ihn vorher zu fragen, ob es ihm recht wäre. »Heute hier oben bei den Unterprivilegierten?« Helena Rosenblatt schrieb für verschiedene Berliner Schmierenblätter über die Reichen und Schönen der Stadt. Manchmal berichtete sie auch über die Künstlerszene, besonders dann, wenn sie irgendwo einen Skandal witterte, aber ihre Artikel wurden niemals von den großen Blättern gekauft, deshalb duldete man sie auch nicht unten im Schwimmerbereich, sondern ließ sie nur vom Rande aus zusehen.
»Sind Sie von Herrn Pechstein nicht eingeladen worden?«, fragte sie neugierig.
»Das geht Sie gar nichts an.« Ludwig winkte dem Mädchen hinter der Bar zu, seine Lippen formten stumm das Wort Kaffee. Er brauchte dringend etwas Aufmunterndes nach dem langen Tag auf der Leiter. Gegen Mittag hatte er die Grundierung vollständig aufgetragen und mit dem Ausmalen der Figuren begonnen, er war schnell und zügig vorangekommen, denn Lilly hatte sich bis zum Abend nicht mehr blicken lassen. Ob er sie nachhaltig abgeschreckt hatte? Die kommt schon wieder, versicherte ihm eine Stimme in seinem Kopf, die klang wie die von Pechstein.
Helena Rosenblatt winkte ebenfalls zur Bar hinüber und bestellte Tee. Dann zog sie ihren Stuhl ganz nah neben den von Ludwig und zückte ihr Notizbüchlein. »Jetzt tun wir doch ma’ Butter bei die Fische«, meinte sie vertraulich. »Warum sitzen Sie hier oben? Haben Sie sich mit dem Herrn Pechstein entzweit, oder was ist passiert?«
»Hören Sie schlecht? Warum ich wo sitze und mit wem ich mich entzweit habe oder nicht, geht Sie einen Dreck an!«,herrschte Ludwig sie eine Spur zu laut an. Erschrocken sah er nach unten, ob man ihn dort gehört hatte, aber das Café war schon zu voll, zwischen der Galerie und Pechsteins Tisch lag ein dicker Schutzwall aus Lärm und Musik.
Die Rosenblatt zuckte mit den Schultern, dann holte sie ihr Zigarettenetui aus der Tasche und sah ihn erwartungsvoll an, als ob er nichts gesagt hätte. Ludwig wurde jetzt wirklich wütend. Erst diese verzogene Fabrikantentochter und jetzt die Rosenblatt – hatten es denn heute alle auf ihn abgesehen! Er stand abrupt auf und stieß dabei mit Hanna zusammen, die gerade mit dem Kaffee und einem Glas Tee ankam und beides fallen ließ. Tee und Kaffee ergossen sich zum größten Teil über die Rosenblatt und zu einem kleinen über Ludwigs Schuhe, aber das war ihm egal, die Schuhe hatten ihre besten Tage längst hinter sich. Die
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