ZITRONENLIMONADE (German Edition)
hatte eine offene freundliche Art, wirkte
aber sehr kompetent und energisch. Meiner neuen Zimmergenossin erklärte sie
jetzt, sie würde bei ihr eine kurze Eingangsuntersuchung vornehmen, Blut
abnehmen und ihr dann für weitere Untersuchungen einen Zugang legen. Das ist
eine Art Dauernadel für Infusionen oder Spritzen, aber auch zum Blutabnehmen,
damit man die Patienten nicht ständig neu stechen muss.
Frau Lehner oder wie sie bei mir hieß,
das Häschen, war begierig, die Fragen der Ärztin lang und in epischer Breite zu
beantworten. Es machte ihr sichtlich Spaß, ihre sämtlichen Beschwerden und
bisherigen Krankheiten drastisch zu schildern. Vor allem, als sie erklärte, dass sie „ körperlich überhaupt nicht
belastbar sei“ und deshalb auch keinerlei Sport treiben könne. „ Ich habe ja
schon Schwierigkeiten, eine Treppe hoch zu steigen, da wird mir schon nach zwei
Stufen total schwindelig und schlecht und dann kommt natürlich auch das Kopfweh
wieder“, schloss sie kurzatmig und in jammervollen Ton. Genauso siehst du auch
aus, meldete sich das kleine Teufelchen in mir gehässig. Ein bisschen mehr
Bewegung würde deinem Körper und auch deinem Kopf sicher gut tun. Frau Dr.
Amendt kommentierte ihre Leidensgeschichte mit keinem Wort, machte sich mit
stoischem Gesichtsausdruck Notizen und bat dann darum, dass ihre Patientin den
Arm für den Zugang und das Blutabnehmen frei machen sollte. Erschrocken stöhnte
diese auf.
„Sie wollen mir eine Nadel in den Arm
stechen?“ Was denn sonst, dachte ich sarkastisch. Soll sie das Blut vielleicht
mittels einem Küchenmesser in den Bauch abnehmen?
Die Ärztin versicherte, es würde ganz
schnell gehen und hantierte bereits geschäftig mit Gummiband und alkoholischem
Tupfer, mit dem sie den Arm der bedauernswerten Kranken abrieb.
Häschen erklärte indessen, wenn es wehtäte,
müsse sie immer schreien. Und das tat sie zwei Sekunden später wie am Spieß,
"Aaahhhh, aaahhhh, aaahhhh!" als die Nadel aus meiner Sicht völlig
problemlos in ihren Arm glitt; die Ärztin hatte gleich beim ersten Mal perfekt
die Vene getroffen. Häschen schrie immer noch markerschütternd, als die Ärztin
geschickt mehrere Röhrchen Blut abzapfte. Von dem Gebrüll herbei gelockt, stürmten
zwei Schwestern erschrocken ins Zimmer, von denen eine gleich den Rückzug
antrat, als sie sah, dass die Ärztin hier war. Schwester Rita aber blieb
abwartend stehen und betrachtete den Neuzugang zuerst erstaunt, dann angewidert. Frau Dr. Amendt packte
derweil scheinbar ungerührt ihre Utensilien zusammen, erklärte noch, dass heute
Nachmittag und morgen weitere Untersuchungen folgen würden und verließ –
wahrscheinlich erleichtert, dass nicht alle Patienten derart nervenaufreibend
waren – den Raum. Ich bewunderte ihre absolute Selbstbeherrschung. Sie hatte
nicht einmal mit der Wimper gezuckt, war trotz des Geschreis total ruhig
geblieben und verzog auch jetzt keine Miene. Ich glaube, ich hätte das Häschen
geohrfeigt, als sie mit dem Gebrüll los legte. Oder sie zumindest angeherrscht,
sie solle sich nicht so kindisch benehmen. Oder zur Strafe die Nadel raus
gezogen und gleich nochmal zugestochen….
Dafür kriegte sie jetzt von der
Stationsschwester aber Druck. Ich frohlockte innerlich, als ich Schwester Rita ansah.
Ihr Gesicht war umwölkt, als sie zunächst ganz ruhig wissen wollte: " Frau Lehner, warum um Himmels
Willen schreien Sie hier die ganze Station zusammen?" Häschen lag - von
den Anstrengungen der letzten Minuten gezeichnet – hingegossen wie eine Diva in
ihrem Bett. Sie stöhnte theatralisch, als sie auf ihrem Arm mit dem Zugang
deutete. „ Bitte, Schwester, machen sie mir die Nadel wieder raus. Die tut so
weh.“ Schwester Rita blieb immer noch sachlich. „ Das kann nicht sein. Jetzt
warten Sie noch ein paar Minuten, dann spüren Sie gar nichts mehr Außerdem
können wir ohne diesen Zugang keinerlei Untersuchungen an Ihnen vornehmen.“
Diese Drohung wirkte. Nichts ist
schlimmer für einen Hypochonder, als das man ihn nicht untersucht und damit
auch keine Krankheiten diagnostiziert werden können. Also beschloss die
Leidende schnell, die Nadel zu tolerieren und zog nur eine Schnute, um ihre
übermenschliche Tapferkeit zu demonstrieren. „ Also gut, dann werde ich die
Schmerzen halt ertragen. Das bin ich ja schon gewöhnt.“
Meine Nachbarin hatte keinerlei
Feingefühl, sonst hätte sie gemerkt, dass Rita auf hundertachtzig war.
Weinerlich schob sie hinterher: „
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