ZITRONENLIMONADE (German Edition)
unterbrachen ihr leises
geführtes Gespräch über ein angesagtes Rockkonzert und Max blickte ausgerechnet
in dem Moment, als mir zwei einsame Selbstmitleidstränen über die Wangen kullerten,
über seine Schulter nach hinten.
" Is ois in Oadnung bei eahna?,
" erkundigte er sich fürsorglich.
Als ich schnell und laut "Ja,
alles bestens" antwortete, erklärte er mir, "sogens Bscheid, wanns
eahna z` woam oder z` koid is," und setzte seine Unterhaltung mit seinem
Kumpel fort. Glücklicherweise hatte er meine sentimentale Anwandlung nicht
mitbekommen. Ich stellte mir vor, wie peinlich das wäre, wenn sich diese beiden
Jungs um die hysterische Alte in ihrem Wagen kümmern müssten, die ihnen was
vorheulte, wo sie doch lediglich in eine Rehaklinik überführt wurde! Und kriegte
mich ganz schnell wieder ein.
Mittlerweile waren wir aus der Münchner
Innenstadt draußen und auf der Autobahn. Nach wenigen Kilometern fluchte Andi
kräftig, drosselte das flotte Tempo und schaltete die Scheibenwischer ein. Es
begann, in dichten Flocken zu schneien. Der Schnee blieb im Nu auf der Fahrbahn
liegen. Auch das noch! Da brauchten wir ja doppelt so lange. Schon geriet ich
wieder in Panik. Was wenn ich solange nicht aushielte und aufs Klo musste? Ich
konnte nicht einfach so auf einem Parkplatz pinkeln. Erstens war ich
halbseitengelähmt, zweitens eine Frau und damit, was diese Sache anging, auch
in gesundem Zustand körperlich völlig benachteiligt.
Männer können sich wunderbar, auch im
Liegen, jederzeit und überall problemlos und relativ unauffällig erleichtern.
Total ungerecht, diese Welt! Gegen die anatomischen Unterschiede hilft auch gesetzlich verordnete
Gleichbehandlung von Männlein und Weiblein rein gar nichts! Und eine
Bettpfanne, sollte eine solche irgendwo hier an Bord sein, käme auch nicht
infrage. Niemals, nicht vor diesen beiden Jüngelchen!! Ich fing an, über die
Vorzüge von Einmalwindeln zu sinnieren…
Aber glücklicherweise hörte der
Schneefall nach wenigen Kilometern auf und die Sonne brach durch die Wolken. Andi
drückte wieder aufs Gas. Ich schloss die Augen und musste wohl eingedöst sein,
denn als ich wieder nach draußen guckte, befanden wir uns auf einer Landstraße
und fuhren am Ufer des Bodensees entlang. Hier lag ebenfalls Schnee auf der
Straße und wenig später sah ich am Straßenrand zwei Frauen, die auf ihre
Schneeschippen gelehnt, über den Zaun ihrer Hofeinfahrten hinweg ein
Schwätzchen hielten. Ob ich wohl jemals wieder in der Lage sein würde, Schnee
zu schippen? Oder über einen Gartenzaun hinweg zu ratschen? Dass ich momentan
mitten in München in einer Penthousewohnung lebte, wo es keine Zäune gab und
dank unseres Hausmeisters keinerlei Bedarf hatte, irgendwelchen Schnee
wegzuschaufeln, war mir herzlich egal. Es ging ums Prinzip.
Ich wollte alles wieder können, zudem hatte
ich meinen Traum von einer Familie und einem Haus mit Garten lebhaft vor mir.
Auch diese zwei Frauen beneidete ich glühend um ihr ganz normales Alltagsleben.
Und verschaffte mir für einen kurzen Augenblick boshafterweise dadurch
Befriedigung, dass ich mir vorstellte, wie die eine ständig von ihrem Mann
betrogen würde und die andere eine Schar völlig ungezogener Kinder hätte, derer
sie nicht Herr würde. Aber dann rief ich mich schnell zur Ordnung. Nein, ich
wünschte den beiden wirklich alles Gute für ihr Leben. Neid und Missgunst
bringt einen nicht vorwärts, im Gegenteil. Fällt alles auf einen selbst zurück.
Hatte Oma immer gesagt…Ich hatte doch einiges dazu gelernt in den letzten
Wochen!
Als der Wagen ein paar Minuten später
sanft abbremste und um eine Kurve fuhr, wurde ich aus meinen Grübeleien heraus
gerissen. Andi brachte das Auto zum Stehen und erklärte in seiner beredeten Art:
"
Mir san do!" Ich hob den Kopf und erblickte einen aus mehreren
zusammenhängenden Gebäuden bestehenden imposanten weißen Häuserkomplex mit
einem gepflasterten und jetzt von Schnee weiß überzuckerten Vorplatz. Einige
Leute standen zigarettenrauchend mit zusammengekauerten Schultern fröstelnd
unter dem ausladenden Vordach, welches die verglaste automatische Eingangstür
schützte. Sie blickten neugierig auf unseren Wagen und auf mich, die auf der
Trage heraus gerollt wurde.
Sind das nun Patienten oder Personal, fragte
ich mich bange. Die standen und liefen alle ganz normal, kein Rollstuhl, kein Gehwagen,
nicht mal Krücken waren in Sicht! Ich wollte wieder dahin, wo ich
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