ZITRONENLIMONADE (German Edition)
Landschaftsaquarelle,
die den Bodensee und das Seeufer zu verschiedenen Jahreszeiten darstellten.
Und hier sah ich endlich auch die
Gehbehinderten, die ich draußen vor dem Eingang vermisst hatte. Nahezu alle,
auch viele jüngere Menschen, wie ich erleichtert feststellte, die uns auf
diesem Gang entgegenkamen, bewegten sich mit Hilfsmitteln fort, manche - sehr
geschickt - in mechanischen oder gar Elektrorollstühlen, andere auf Gehwägen
oder Krücken gestützt. Und es gab nur sehr wenige, die völlig ohne Hilfsmittel
liefen, sich aber sicherheitshalber am Wandgeländer entlang tasteten. Max
erklärte lapidar:
" Mittogessenzeit, die gengat olle
in Speisesaal, deswegen is so vuil los!"
Und wieder war mir schleierhaft, wie
ich hier klar kommen sollte. Alle außer mir waren mobil.
Als wir dann aber zur angekündigten
Früh-Reha-Station gelangten, lösten sich meine Zweifel im Nu auf. Ganz
plötzlich erweiterte sich der Gang zu einer Art hellem Lichthof und wir standen
vor einer weißen Wand, in die eine geschlossene Schiebetür eingelassen war, auf
der in großen schwarzen Buchstaben die Worte "Frühreha - bittel
läuten" zu lesen war. Andi drückte auf die Klingel unterhalb eines
Zahlenkästchens und aus einer Sprechanlage ertönte eine blecherne verzerrte
Frauenstimme: "Ja, bitte?" Auf die Antwort "Neuzugang, Frau
Salten" öffnete sich die Tür mit einem zischenden Geräusch und schloss
sich sofort wieder, als wir hindurch waren.
Wir gelangten in einem kleinen Vorraum
mit zwei großen Kübelpalmen, dessen linke Wand mit bunten Motiven aus Disney´s
Dschungelbuch bemalt war. Wie nett, kam
ich jetzt auf die Kinderstation? Probier´s mal mit Gemütlichkeit? Das Witzeln
verging mir schnell.
Als mein fahrbarer Untersatz um die Ecke
geschoben wurde, hielt ich den Atem an. Der Unterschied zu draußen, dem Bereich
vor der Schiebetür, hätte nicht krasser sein können. Vor einem steril wirkenden
weißen Counter, hinter dem eine Schwester geschäftig Daten in einen Computer
eingab, erstreckte sich ein heller großer quadratischer Raum mit großen Resopaltischen.
Er wirkte nüchtern und steril, Stühle fehlten völlig, da diejenigen, die dort
saßen, etwa zwanzig Personen, sich alle in Rollstühlen befanden.
Andi und Max regelten mit der Empfangsschwester
die Formalitäten und während meine Trage stillstand, konnte ich mir die
Insassen der Frühreha genauer ansehen. Und kam mir vor, als wäre ich, wie Jack
Nicholson im Film "Einer flog übers
Kuckucksnest" versehentlich in der
geschlossenen Psychiatrie gelandet…Auch hier war Mittagessenszeit und vor jedem
Rollstuhlfahrer stand ein gefüllter Essensteller.
Etwa sechs bis acht Schwestern und Pfleger liefen geschäftig zwischen den
Patienten umher, um ihnen bei der Nahrungsaufnahme zu helfen. Meine zukünftigen
"Mitinsassen" befanden sich in unterschiedlichen Bewusstseins-Stadien.
Eine junge blonde Frau, in einem Rollstuhl mit sehr hoher Rückenlehne, mit der Stirn an einer Kopfstütze
festgeschnallt, starrte apathisch vor sich hin und schien von ihrer Umgebung
nichts wahr zu nehmen. Ab und an zuckte ihr linker auf der Fußstütze
festgeschnallter Fuß unkontrolliert.
Einige andere hatten, während ihnen vom
Pflegepersonal Löffel für Löffel das Essen - püriert, wie ich entsetzt
feststellte - in den Mund geschoben wurde, einen ähnlich leeren Blick. Immer
wieder wurde ihnen der Sabber von Mund und Kinn abgewischt, da die Hälfte des
Essens aus dem Mund wieder heraus lief. Der Raum war von Schmatzen, Würgen und
undefinierbaren Lauten erfüllt, dazwischen hörte man teils mahnende, teils
aufmunternde Worte der Schwestern und Pfleger. Sie redeten wie
Kindergartentanten in ganz kurzen einfachen Sätzen, oft mit strengen oder schmeichelnden
Untertönen. Ich dachte, ich hätte mich verhört, aber eine der Schwestern säuselte
tatsächlich:
" Und noch ein Löffel für die
Mama…."
Ein dicklicher junger Mann, dessen
ursprünglich graue Jogginghose trotz dem verkleckerten Latz, den er auf seiner
Brust trug, mit Essensflecken aller Art
und Farbe übersät war, rollte wild mit den Augen und konnte von einem kräftigen
Pfleger, der ihm energisch den Löffel aus der Hand wand, gerade noch daran
gehindert werden, diesen mit Karacho direkt in seinen vollen Essensteller zu
schlagen. Ich traute meinen Augen nicht, als er darauf hin böse grinsend den
Mittelfinger seiner fleischigen rechten Hand hoch in Richtung des jungen
sportlich aussehenden Pflegers
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