ZITRONENLIMONADE (German Edition)
abgeschoben!
Ich war mittlerweile daran gewöhnt, mich nur
mit dem Pflegepersonal oder auch den teilweise anwesenden Angehörigen zu
unterhalten und das teilweise abnorme Verhalten meiner "Mitinsassen" schockte
mich schon an meinem dritten Tag auch nicht mehr. Mark dafür umso stärker.
Als er wie versprochen an diesem
Samstag den Aufenthaltsraum betrat, blickte ich zufällig gerade von meinem
Essen auf, sah ihn forsch herein kommen und bemerkte, wie seine
erwartungsvollen Gesichtszüge angesichts des Szenarios vor ihm entgleisten. Ich
konnte seine Gefühle sehr gut nachvollziehen, hatte sie ja an meinem
Ankunftstag hier ebenfalls durchlaufen.
Schlagartig verlangsamte er seine
Schritte und suchte hilflos mit den Augen die Tische ab. Ich kannte ihn gut
genug, um zu wissen, dass er insgeheim hoffte, mich nicht unter diesen
bedauernswerten Zeitgenossen vorzufinden. Kurz erwog ich, mich nicht bemerkbar
zu machen. Aber das war kindisch, er wusste ja, dass ich auf dieser Station
aufgenommen worden war. Also winkte ich ihm tapfer zu. Schnell war er an meiner
Seite. Mit seinem korrekten Freizeitoutfit, Hemd, Hose, Krawatte, Lederjacke,
wirkte er völlig fehl am Platz und fühlte sich sichtlich unwohl, vor allem, weil
ihn die anderen, Patienten, Angehörige und Pflegepersonal mehr oder weniger
interessiert anstarrten. Seine sonstige Selbstsicherheit war wie weg geblasen.
Tja, Junge, das hier war etwas völlig
anderes als volle Gerichtsäle oder harte Mandantenverhandlungen…Dort wurde
niemand gefüttert, kreischte, warf oder
spuckte mit Essen, oder fiel sonst derart aus dem Rahmen. Meistens benahmen
sich alle normal und berechenbar, und wenn nicht, gab es den Saalordner oder
den Sicherheitsdienst.
Er beugte sich zu mir herunter und
murmelte leise:
"Hallo Christina. Können wir nicht
woanders hingehen? Hier ist es ja grauenhaft, wie kannst du hier nur
essen?" Ich war sauer über die
wenig liebevolle Begrüßung und schämte mich tatsächlich für ihn und seine Unhöflichkeit.
Laut erwiderte ich: "Hallo Mark. Leute, darf ich vorstellen, dass ist mein
Freund, Mark Warenberg." Und an ihn
gerichtet: "Ich bin mit dem Essen noch nicht fertig. Ist alles Übung für
mich, außerdem brauche ich die Kalorien. Nachher können wir in mein Zimmer
gehen, da sind wir ungestört."
Und wandte mich seelenruhig wieder
meinen Linsen mit Spätzle zu. Mittlerweile versuchte ich schon ansatzweise, die
rechte Hand beim Essen etwas mit einzubeziehen, ergriff zumindest das Messer
und hielt es fest, damit man sehen konnte, wie beweglich mein rechter Arm schon
wieder war. Fiel mir schwer und erforderte viel Konzentration, aber: Von nix
kommt nix!
Mark nahm schicksalsergeben auf einem
Stuhl, den ihm eine Schwester brachte, neben mir Platz und betrachtete mit
sichtlich angewiderter Miene Ralfie gegenüber, der ihn natürlich sofort breit
grinsend mit seinem Lieblingsgruß - dem hochgereckten Mittelfinger - bedachte. Geschieht
dem Herrn Anwalt recht, dachte ich schadenfroh. Was musste er seine Abneigung
auch derart deutlich zum Ausdruck bringen? Beruflich konnte er doch auch in
jeder brenzligen Situation sein Pokerface aufsetzen. Verdammt noch mal, es war
nicht sein Verdienst, gesund und munter zu sein. Hier drinnen waren alle
Gesellschaftsschichten, vom Firmendirektor bis zur Arbeiterin, als Patienten
vertreten und jeder einzelne von ihnen hatte sein Päckchen zu tragen.
Ich erzählte ihm leise vom dem großen
traurigen Mann mit der Glatze und den Hängebacken, der drei Tische weiter in einem
Rollstuhl saß und von seiner zierlichen
Frau, die bei ihm im Zimmer wohnte, liebevoll gefüttert wurde. "Das ist
Herr Dr.Sanbacher, ehemaliger Präsident der Industrie- und Handelskammer
Bayern. Er hat sich vor drei Jahren einer harmlosen Meniskusoperation
unterzogen. Tragischerweise kam es zu einem Narkosefehler, er fiel ins Koma und
ist in diesem Zustand wieder aufgewacht. Er ist teilweise gelähmt und kann
außer ein paar undefinierbaren Lauten nicht sprechen, ist aber geistig voll da.
Sein Pech, dass man ihm das nicht ansieht. Seine Frau ist Anwältin, hat ihre
gutgehende Kanzlei verkauft, kümmert
sich nur um ihn und unterstützt ihn bei seiner Rehabilitation. Sie sind in den
letzten drei Jahren in den verschiedensten Rehaeinrichtungen gewesen. Aber er ist
schwer depressiv und hat sich wohl aufgegeben."
Mark vergaß sein Unbehagen und sah mich
erschrocken an.
"Und siehst du da drüben die junge
blonde Frau, die in ihrem
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