Zitronentagetes
gleichen Maße Trost und Wärme erhalten. Es dauerte nicht lange, bis auch er eingenickt war.
»Du bist noch gar nicht auf?«, hörte er plötzlich seinen Vater fragen.
»Dad …«
»Himmel, wie siehst du aus, Junge? Bist du gestürzt?«
»Ja.«
»Um Gottes willen.«
»Der hatte nichts damit zu tun. Ich habe mich besoffen, das ist alles.« Sein Vater sah ihm in die Augen und er hielt seinem forschenden Blick stand. »Willst du mir jetzt eine Standpauke wegen meiner Schwäche halten? Nur zu!«
»Vielleicht sollte ich das.« George machte eine kurze Pause, gerade so, als wählte er seine nächsten Worte sorgfältig aus. »Aber mir ging es zu oft genauso. Selbstmitleid ist eine schwere Bürde.«
»Habe ich nicht allen Grund dazu?«
»Natürlich, so wie beinahe jeder Mensch. Dennoch ist es immer eine Frage der Betrachtung. Ist das Glas halb voll oder halb leer? Lass uns ein bisschen reden.«
»Erst muss ich pinkeln.« Marc ging ins Bad und überlegte, was sein Vater wirklich wollte.
Als er sich gewaschen und angezogen hatte, fand er das Wohnzimmer leer vor. In seinem Schlafzimmer stank es wie in einer Kneipe, er riss das Fenster auf. Kurz darauf erschien George mit einem riesigen Kaffeebecher und einem Toast.
»Bestimmt hast du noch nichts gegessen. Trink den Kaffee, solange er noch heiß ist. Ich habe ordentlich Zitrone reingegeben.«
»In Kaffee?« Angewidert verzog Marc das Gesicht.
»Ist ein altes Katermittel – zumindest hat es mir früher geholfen.«
Der Kaffee half in der Tat. Am Toast knabberte Marc nur etwas herum. Hinsichtlich der regelmäßigen Einnahme seiner Schmerzmittel zwang er sich, ihn aufzuessen.
»Gehen wir ein Stück? Zum alten Hafen vielleicht.« Obwohl auch der letzte Satz als Frage gedacht war, klang er nicht danach. George zog sich bereits seinen Mantel an.
Am alten Hafen waren sie oft gemeinsam gewesen. Früher hatte sich dort Georges Reederei befunden, die Marc als Kind oft aufgesucht hatte. George hatte sich stets die Zeit genommen, seine vielen Fragen zu beantworten. Immerhin war sein Vater nicht nur der Eigner der Jachten, einige baute er sogar selbst. Diese Einzelstücke waren stets etwas ganz Besonderes und Marc hatte seinen Vater für dieses Können bewundert.
»Gestern warst du in einem jammervollen Zustand.«
Marc sah ihn nicht an, achtete stattdessen auf den Weg.
»Ich kenne das weiß Gott zur Genüge. Deine Mutter und ich haben uns oft gestritten. Es waren Nichtigkeiten, an denen wir uns aufgerieben haben. Der Grund lag woanders. Wir hatten keine getrennten Schlafzimmer, hätten aber gut und gern welche haben können.«
»Halt, halt, ich will nichts von eurem Sexleben hören.«
»Jenny betont immer, wie ähnlich wir uns sind, aber jetzt klingst du wie deine Mom.«
Marc wäre beinahe aus dem Tritt gekommen.
»Vorsicht!« George berührte kurz seinen Arm. »Megan wollte auch nichts von Sex hören, nicht darüber reden und in keinster Weise etwas damit zu tun haben.«
Was wollte Dad da andeuten?
»Nach dem du geboren warst, durfte ich nie mehr mit meiner Frau schlafen.«
»Das soll wohl ein Scherz sein? Aber lass dir sagen: ein schlechter.«
»Es klingt ungeheuerlich, stimmt’s?« Jetzt wagte George einen Blick. »Ich habe natürlich noch ein paar halbherzige Versuche gestartet, aber es war sinnlos.«
»Vielleicht war deine … äh … Methode nicht die angesagteste.« Zwar glaubte Marc das nicht, aber er versuchte, das Ganze etwas ins Lächerliche zu ziehen.
»Möglich«, antwortete George prompt. »Ich habe nächtelang darüber nachgegrübelt.«
Bestimmt nicht allein. Probieren geht schließlich über studieren, Alterchen.
»Heute weiß ich, dass es nicht so war. Aber damals, als ich jung war, traf mich ihre Verweigerung hart.«
Kann ich mir vorstellen , hätte Marc fast gesagt.
Lange sagte keiner mehr ein Wort. Möwen kreischten, der Hafen wirkte verlassen. Die alten Kaianlagen harrten der kommenden Touristensaison. Bald schon würden die Urlauber wieder in Scharen hier entlangspazieren.
»Sie war verletzt – du hattest … Affären.« Marc bemühte sich um einen sachlichen Tonfall.
»Damals noch nicht«, antwortete George und sah ihm in die Augen. »Was war wohl zuerst da: das Ei oder die Henne?«, fügte er hinzu und lächelte traurig.
Marc machte dicke Backen.
»Ich sehe schon, du glaubst mir nicht. Reden wir ein anderes Mal weiter – wenn du aufgeschlossener bist. Für den Anfang genügt es ja auch, oder?«
Hatte er sich all die
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