Zitronentagetes
Nervenknoten mit einer geringen Menge Alkohol umspritzt. Langsam konnte er Joshuas Angst vor Nadeln nachvollziehen. Ein bisschen mulmig wurde ihm bei diesen Aussichten.
Eigentlich könnte er jetzt auch der Firma einen Besuch abstatten, überlegte Marc auf dem Krankenhausflur. Seit dem Unfall war er nicht dort gewesen. Sicher hatte niemand Zeit für ihn. Aber er wollte austesten, wie er sich fühlte, wenn er das Gebäude von Tanner Construction betrat.
»Was sehen meine übermüdeten Augen?«, hörte Marc und wandte den Kopf. Curtis Zimmerman winkte ihn heran. »Mein Lieblingspatient, hoch aufgerichtet und Herr seiner Sinne – sehr schön.«
»Hallo.«
Neben dem Assistenzarzt stand eine kleine, rundliche ältere Frau. Sie lächelte Marc an.
»Darf ich vorstellen: meine Vermieterin, Aurelia Hart.«
Marc schenkte ihr ein unverbindliches Lächeln. Er suchte nach einem geistreichen Satz, fand aber nichts Passendes.
»Curtis hat sich hin und wieder mit mir über Ihren Zustand unterhalten – natürlich, ohne Namen zu nennen. Auch Ärzte brauchen Rückenstärkung und Zuspruch.«
Marc nickte.
»Lassen Sie sich nicht von Curtis flapsiger Art täuschen. Er macht sich viele Gedanken um die Menschen, die ihm anvertraut werden.«
Marc starrte auf ihre knotigen, gekrümmten Fingerknöchel. Sie merkte es, nahm es aber gelassen. Bestimmt erlebte sie das des Öfteren.
»Schön, dass es Ihnen wieder gut geht«, sagte sie.
»Danke.«
»Scott Peterson hat mir berichtet, dass Sie beide sich gut unterhalten haben. Das freut mich sehr. So tragisch alles ist, er hat es verdient, zur Ruhe zu kommen. Einen Freund könnte er gut gebrauchen. Lange Zeit ging das nicht. Das Leben mit Liza … äh … gestaltete sich etwas kompliziert.«
Marc nickte höflich, als wäre er im Bilde, wovon die Frau sprach. »Sie kennen die Familie näher?«
»O ja, ziemlich gut sogar.« Aurelia warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. »Es tut mir leid, aber ich habe einen Termin.« Sie winkte und ging zum Fahrstuhl.
»Woher kennt sie die Petersons?«, fragte er Curtis.
»Aurelia hilft in Not und finanzielle Schwierigkeiten geratenen Familien.«
Jennifer, seine Sekretärin, fiel ihm um den Hals. »Das«, sie deutete auf sein Gesicht, »kann doch unmöglich noch von dem Unfall stammen.«
»Tut es auch nicht«, stellte Josh klar, als er sein Vorzimmer betrat. »Eigentlich bin ich wütend auf dich, weil Liz deinetwegen mitten in der Nacht ins Krankenhaus hasten musste – in Sorge, wohlgemerkt. Doch bei deinem Anblick flammt nur Mitleid in mir auf.«
Marc senkte den Kopf.
»Dein lädiertes Gesicht gepaart mit einem schüchternen Lächeln, wie soll ich dir da noch in den Hintern treten? Mach uns keinen Kummer mehr«, bat Josh leise, sodass nur er es hören konnte, als sie sich flüchtig umarmten.
Sie tranken alle zusammen Kaffee und unterhielten sich eine Weile fast wie in alten Zeiten.
Marc besuchte auch noch den Leiter des Fuhrparks. Scott Peterson war nicht an seinem Arbeitsplatz, erfuhr er. Er hätte jedoch angerufen und etwas von seinem kranken Kind gefaselt. »Bei allem Respekt, Mr. Cumberland. Dieser Mann ist nicht gerade ein Glücksgriff für uns. Er ist unzuverlässig – jawohl. Heute ist es das Kind, früher war es immer die Ehefrau, der es nicht gut ging. Mir ist klar, warum Sie ihn wieder haben einstellen lassen, aber …«
Obwohl der Mann den Satz nicht beendete, wusste Marc, was er von Scott Peterson hielt. »Ich werde die Angelegenheit persönlich prüfen«, nahm er Ben Hanson den Wind aus den Segeln. Unsympathischer Kerl, er spürte einen stechenden Blick im Rücken.
Obwohl dies eine kleine Küstenstadt war, wo man alles bequem zu Fuß erreichen konnte, hatte Marc das Gefühl, eine Ewigkeit zu brauchen, bis er wieder zu Hause ankam. Über kurz oder lang würde er ein Auto brauchen. Er müsste sich damit beschäftigen – und zwar bald. Unterwegs wirbelten seine Gedanken erneut hin und her.
Früher war es immer die Ehefrau, der es nicht gut ging …
Das Leben mit Liza gestaltete sich kompliziert …
Einen Freund könnte Scott gut gebrauchen …
Was hatte das alles zu bedeuten? Die Sätze ließen sich zu keinem Sinn machenden Ganzen zusammenfügen. Eine Erkenntnis zuckte auf. Sie ließ sich nicht greifen.
Der Fußmarsch hatte ihn erledigt. Irgendetwas kniff an seinem Stumpf. Vielleicht hatte er nach der Krankengymnastik die Prothese nicht korrekt angelegt. Außerdem knurrte sein Magen und er war sich nicht
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