Zitronentagetes
mir.«
Erschöpft schloss Marc die Augen.
Auf dem Weg über die langen Krankenhausflure vernahm Floriane ein jämmerliches Weinen.
»Ich will zu meiner Mama, ich will zu meiner Mama.« Eine Krankenschwester war sichtlich bemüht, das Kind zu beruhigen. Da es ein Nachthemdchen trug, schloss Flo, dass es sich bei dem Jungen um einen Patienten handelte. Mit einem Mal waberten Erinnerungsfetzen durch ihren Kopf – allein in einem Krankenzimmer. Ein Gefühl von Verlassenheit streifte sie und veranlasste sie, stehen zu bleiben.
»Deine Mama muss arbeiten, das hat sie dir doch gesagt. Sie schaut heute Abend herein.« Erneut plärrte der Junge los. Die Krankenschwester war sichtlich genervt und sah sich resigniert um.
»Hallo, ich bin Flo.« Ehe sie sich versah, ging sie in die Hocke und redete weiter. »Zeigst du mir mal dein Zimmer? Gibt es da auch was zum Spielen?«
Der Bursche nickte unter Tränen. Die Krankenschwester ließ ihn los und er marschierte schnurstracks in eines der offen stehenden Patientenzimmer.
»Vielen Dank, ich habe viel zu tun«, murmelte die Schwester zur Entschuldigung und hob kurz die Schultern, bevor sie davonlief.
Flo spielte fast eine Stunde mit dem Kleinen »Ich sehe was, was du nicht siehst«. Ausdauer hatte er jedenfalls, das musste sie ihm lassen.
»Gibt’s hier noch mehr Kinder?«
»Klar.« Nat setzte eine altkluge Miene auf. »Wollen wir mal gucken gehen?«
»Ja, klar. Vielleicht möchten sie mit uns spielen.«
Tatsächlich gesellten sich zwei kleine Mädchen zu ihnen. Susie präsentierte stolz ihr Gipsbein, auf das jeder etwas malen sollte. Erst, als Nats Mutter kam, wurde Flo bewusst, wie lange sie bereits hier im Krankenhaus war. »Jetzt muss ich aber los.«
»Kommst du morgen wieder?«
Konnte sie Nats hoffnungsvollem Gesichtchen irgendetwas entgegensetzen? »Wenn du das möchtest.«
Flo war beseelt von dem herrlichen Gefühl, etwas Gutes bewirkt zu haben. Sie bereitete mit Bertha das Abendessen zu.
»Ich habe unzählige Ordner vom alten Doc gefunden – über das Gärtnern. Darf ich mir die mal genauer ansehen?«
»Kann mir nicht vorstellen, was er dagegen haben sollte.«
»Prima.«
Nach dem Essen nahm sie den ersten Ordner mit ins Bett und las, bis sie einschlief.
Bereits nach dem Frühstück zog sie sich alte Klamotten an und schlüpfte mit zwei Paar dicken Socken in Johann Svensons alte Filzstiefel. Flo wollte die Gartengeräte im Schuppen näher unter die Lupe nehmen. In Johanns Aufzeichnungen hatte sie eine Auflistung gefunden, was in den verschiedenen Monaten im Garten zu tun sei.
Nutzen Sie die Winterzeit, um alle Geräte zu warten. Entfernen Sie anhaftende Erde und beseitigen Sie Flugrost. Benutzen Sie dazu eine Drahtbürste. Feucht abwischen, abtrocknen und die Metallteile mit Sprühöl fetten. Stumpfe Spaten mit einer Feile schleifen.
Ach herrje.
Obwohl es ganz schön kalt war und ihr ausgestoßener Atem kleine Dampfwölkchen bildete, schien die Sonne hell und strahlend. Flo sah sich genauer um. Der Garten wirkte verlassen und das lag nicht an der Jahreszeit. Die Bilder in Johanns Aufzeichnungen zeigten deutlich, dass ein Garten auch im Winter schön aussehen konnte. Hier jedoch trauerten all die Pflanzen um Johann, ihren langjährigen Gärtner.
Irgendwie änderte sich gerade etwas Elementares in Flos Leben. Puzzleteilchen fügten sich zu etwas, was von Anfang an zusammengehörte.
Später rief sie bei Liz Tanner an, um Näheres über Marc zu erfahren, doch Josh ging ran.
»Hallo, hier ist Flo. Ist deine Frau zu sprechen?«
»Sie ist noch in der Klinik.«
»Verstehe. Und wie geht es dir so?«
»Ich mache mir ziemliche Sorgen um Victoria. Sie hat ihr Baby verloren.«
»O nein.«
»Seit der Fehlgeburt spricht sie kein einziges Wort.«
»Das tut mir furchtbar leid, Josh.«
»Wir sind alle ziemlich fertig.«
»Kein Wunder.«
*
George war hin- und hergerissen. Die Sorge um Marc saß tief. Wenn Joshua Tanner nicht so umsichtig gehandelt und Amy informiert hätte, die wiederum seiner Frau Bescheid gesagt hatte, hätte er womöglich nie von dem Unfall erfahren. Ihm war aber auch bewusst, dass sein Sohn ihn nicht in der Nähe haben wollte, das hatte er ihm unmissverständlich klargemacht.
Müde strich er sich über die Stirn. Er täte gut daran, es zu respektieren. Er führte einen Kampf, den er nicht gewinnen konnte.
Wie ein uralter Mann griff er zum Telefon. »Ich bin es, Meg.«
»Wie kannst du es wagen, George?«
»Ich muss
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