Zitronentagetes
mich lässt.«
»Je t’aime.«
»Ich werde immer in deinem Herzen sein. Hab keine Angst, meine Liebste. Hab nur keine Angst.«
Sie fühlte, wie sie umarmt wurde und für einen flüchtigen Moment glaubte sie, Jaques’ Wange an ihrer zu spüren.
Olivia stand abseits und wartete auf sie. Die anderen saßen bereits in ihren Autos. »Mom«, sagte sie freudig lächelnd. »Mom, du glaubst nicht, was eben passiert ist.«
»Doch, Victoria, ich glaube es. Er war da, nicht wahr?«
»Ja.«
Sie lagen sich noch lange in den Armen und weinten.
Am Nachmittag schnappte sich Vicky ihre Kamera. Sie musste unbedingt ein bisschen allein sein. Das Auto stellte sie am alten Hafen ab und spazierte los. Schon hatte sie das erste Motiv gefunden. Sie hatte nicht wirklich vergessen, wie schön St. Elwine war, nur wurde es ihr jetzt erst wieder richtig bewusst. Ein aufkommender Wind fuhr ihr in den Mantel und ließ sie frösteln. Sie schlug den Kragen hoch und lief weiter. Eine nostalgische Straßenlaterne weckte ihre Aufmerksamkeit. Und plötzlich hatte sie eine Eingebung. Wie wäre es, wenn sie einen Bildband herausbrächte und die kleinen Städte an der Ostküste fotografierte? Bisher hatte sie Porträtbände gemacht. Hin und wieder auch Aktfotografie. Museen und Galerien hatten sie engagiert, um Kataloge mit Gemälden zu erstellen. Außerdem hatte es für einen Nachrichtensender einen Abstecher in ein Krisengebiet gegeben, doch sie hatte schnell begriffen, dass dies nicht die richtige Aufgabe für sie war. Menschen kamen und gingen – das einzig Beständige war die Natur. Wieso sollte sie es nicht mal damit probieren? Ihr geschulter Blick fing Momente ein, die den Touristen meistens entgingen. Das könnte eine Marktlücke sein. Bildbände von den großen Städten gab es zu Dutzenden, aber die kleinen Orte an der Ostküste kannte kaum jemand. Ein wohliges Prickeln durchfuhr sie. Ausgerechnet an diesem Tag offenbarte sich ihr ein neuer Weg. Hatte etwa Jaques’ Erscheinen damit zu tun? Ein kahler Straßenbaum mit einer auffallend schönen Rinde zog sie magisch an. Vicky drückte auf den Auslöser.
»Suchen Sie nach einem Schmetterling?«
Sie fuhr herum. »Die gibt es zu dieser Jahreszeit nicht.« Idiot.
»Natürlich, das weiß ich. Ehrlich gesagt ist mir auf die Schnelle nichts Besseres eingefallen. Sie müssen mich für ziemlich bescheuert halten.«
Er kam ihr vage bekannt vor und sie fragte ihn danach. Flüchtig huschte der Ausdruck von Enttäuschung über sein Gesicht. Allerdings so rasch, dass sie sich bereits fragte, ob sie es sich nur einbildete.
»Ja, wir kennen uns. Ich bin Dr. Curtis Zimmerman.«
Bei der Erwähnung seines Namens regte sich etwas in ihrem Hirn. Der Gedanke war allerdings zu verschwommen, als dass sie ihn hätte fassen können. Sie hatte keine Lust, darauf einzugehen, vielmehr faszinierte sie der rotbraun schimmernde Baum, dessen Rinde sich in kleinen Bahnen abschälte. »Sehen Sie den schönen Baum dort?«
Er folgte ihrem ausgestreckten Finger. »Sieht ein bisschen wie eine Zimtstange aus. Finden Sie nicht?«
Sie sah ihn jetzt offen an. »Das stimmt sogar. Wenn ich die Fotos entwickelt habe, werde ich das recherchieren. Vielen Dank für den Tipp.«
»Gern geschehen. Darf ich Sie zu einer heißen Schokolade einladen?«
In ihrem Kopf öffnete sich ein weiteres Türchen. Sie müsste jemanden finden, der sich mit Bäumen und Pflanzen auskannte und nicht ungeschickt im Umgang mit Worten war. Dann gäbe es zu ihren Fotos ein paar nette Zeilen. Ein faszinierender Gedanke, der sie in eine heitere Stimmung versetzte. Sie spürte seit langer Zeit wieder Leben in sich. Ihr Gegenüber erwartete offensichtlich eine Antwort von ihr. »Wie bitte?«
Curtis deutete auf das kleine Café mit der Drehtür. »Ihnen muss doch kalt sein.«
Jetzt, wo er es sagte, fror sie tatsächlich. Er schien dies von ihrem Gesicht abzulesen, und wiederholte seine Einladung.
»Eine heiße Schokolade wäre sehr nett.« Sie lächelte ihn an.
*
Marc bekam überraschenderweise Besuch. Joshua und Tyler standen in der Tür und grinsten ihn breit an.
»Ich fasse es nicht.« Er freute sich ehrlich, und dennoch verschwamm sein Blick.
»Da du offenbar zu beschäftigt bist, um anzurufen, wollten wir vorbeischauen, um zu sehen, ob wir dir irgendwie helfen können.«
»Blödmann«, blaffte Marc seinen besten Freund an.
»Selber. Aber eines werde ich dir nicht so leicht verzeihen.«
Erschrocken fuhr sein Kopf hoch.
»Du hast meine
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