Zitronentagetes
des Geldes ist bereits aufgebraucht.«
»Kannst du keinen Kredit aufnehmen?«
»Ich befinde mich derzeit in einer ungünstigen Situation.«
»Hä?«
»Mein Vater ist zu alt für einen Kredit und ich selbst …«
»Ja?«
»Bin suspendiert.«
»Dein Job in der Army …«
»Ich bin da in etwas hineingeraten«, unterbrach er sie hastig. »Das wird sich bestimmt bald alles aufklären.« Er murmelte etwas von Missverständnissen.
Sie musste das alles erst einmal verdauen. Ihr erster Impuls war, ihn zu schütteln. Wie sollte sie ohne seine finanzielle Unterstützung über die Runden kommen? »Ich gehe duschen«, sagte sie.
»Flo?«
Sie war bereits an der Tür und drehte sich noch mal um.
»Darf ich heute Nacht hier schlafen?«
Sie konnte ihn in seiner Situation schlecht in eines der Hotels schicken, verdammt. »Klar, ich bringe dir nachher eine Decke.«
*
Er stand – er stand tatsächlich auf zwei Beinen. Eines davon war geborgt – eine Interimsprothese. Sie saß nicht besonders gut, fühlte sich merkwürdig an und außerdem schmerzte es, wenn er sein Gewicht verlagerte. Marc stand in einem Barren, rechts und links konnte er sich an Stangen festhalten. Es war anstrengend und er hatte Angst, zu fallen. Aber unter den Schichten der verwirrenden Gefühle, die alle auf einmal über ihn hereinbrachen, war auch eine kleine Freude.
Die zweite Sitzung bei Dr. Kutznick brachte nicht viel mehr als die erste.
»Ich hörte, Sie hatten heute ein kleines Erfolgserlebnis«, begann der Psychologe freundlich.
»Ein kleines – ja«, gab Marc zu. Doch was hieß das schon? »Für Sie scheint das alles einfach zu sein. Schritt für Schritt den Therapieplan durchexerzieren und hopp, ist man wieder ganz der Alte. Aber es wird nie mehr so, wie es einmal war. Und das ist nicht leicht.«
»Ich bin ganz Ihrer Meinung, Mr. Cumberland.«
Auch das noch. Er wartete sehnsüchtig auf den späten Nachmittag, wo er im Therapiebecken einige Runden schwimmen konnte. Schwerelos, leicht, losgelöst von allem.
Dort traf er einen etwa fünfzehnjährigen Jungen, der wohl die gleiche Operation hinter sich hatte. »Hallo, ich bin Marc«, kamen sie ins Gespräch. Das lief hier in der Klinik recht unkompliziert ab. Von irgendeinem Mitpatienten wurde man immer angesprochen. »Hattest du auch einen Unfall?«
»Nö.« Der Junge schüttelte den Kopf. »Krebs – ein Knochensarkom übelster Sorte.«
Herrgott .
»Und bevor du weiterfragst – nein.«
»Was meinst du damit?«
»Nein, es macht mir kaum etwas aus. Wenn du Tag und Nacht vor Schmerzen schreist und der Krebs in deinem Bein wütet wie ein Ninja-Kämpfer, dann hängst du nicht mehr sehr an diesem Körperteil.«
War das zu glauben? Marc blieb fast der Mund offen stehen.
Am Abend war er so erledigt, dass er kaum noch sein Schmerztagebuch ausfüllen wollte. Jetzt wäre es tatsächlich nett, mit Florence Nightingale zu quatschen. Oder besser noch, sich von ihrem Gequassel einlullen zu lassen, bis man friedlich in den Schlaf glitt. Er kramte nach der Nummer und wählte einfach, bevor er es sich noch anders überlegte. Bereits nach dem zweiten Läuten hob sie ab.
»Hallo, ich dachte, der einbeinige Ritter meldet sich mal bei dir.«
»Wie bitte?«
Er kannte die Stimme des Mannes nicht. »Entschuldigung – ist Floriane da?« Marc kam sich bescheuert vor.
»Sie duscht gerade. Soll ich ihr etwas ausrichten?«
»Nein, nein – ich melde mich ein anderes Mal.« Hastig legte er auf. Wieso war er plötzlich so schlecht gelaunt? Er korrigierte sich im Geiste: noch schlechter gelaunt als sonst.
*
Jaques Leichnam wurde eingeäschert. Einen Teil seiner Asche verstreute Victoria außerhalb der Stadt im Meer. Der Rest würde in Frankreich beigesetzt werden. Sie wollte sich an kein Grab binden, wusste sie doch nicht, ob sie in St. Elwine bleiben würde. Nur die Familie war bei ihr, als sie den Deckel abnahm und die kleine Urne ein wenig schüttelte. Im Geiste hörte sie abermals California Blue , und Roy Orbison vermischte sich mit ihren Schluchzern. Als die Urne leer war, spürte sie eine sanfte Berührung an der Schulter und drehte sich um. Doch niemand stand hinter ihr. »Hallo meine Schöne«, hörte sie Jaques flüstern. Oder war es nur der Wind?
»Ich bin hier, ma chèrie.«
Sie war sicher, dass er da war und mit ihr sprach. »Was machst du?« Die Köpfe der anderen fuhren bei ihrer Frage zu ihr herum.
»Ich muss gehen.«
»Kannst du das denn?«
»Ja, wenn du
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