Zivilcourage - Keine Frage
für die Bundesrepublik Deutschland 1993 22
Veränderung der Wohnbevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland nach Altersgruppen 22
Tatverdächtige insgesamt je 100 registrierte Fälle 23
München, Dezember 2008 : Ein 76 -jähriger pensionierter Rektor bittet zwei Jugendliche in einer Münchner U-Bahn-Station, ihre Zigaretten auszumachen. Die beiden fühlen sich angemacht; sie prügeln den Mann daraufhin fast zu Tode. Das Gericht verurteilt den 18 -jährigen Spyridon L. zu achteinhalb Jahren Jugendstrafe. Der 20 -jährige Serkan A. bekommt nach Erwachsenen-Strafrecht zwölf Jahre Haft wegen versuchten Mordes.
Die Bevölkerung
Tatsächlich glaubt ein großer Teil der Deutschen, dass die Kriminalität hierzulande stark zugenommen hat. Vor allem Menschen, die viel fernsehen und die Boulevardpresse lesen, fühlen sich bedroht. 23 In ihren Augen sind vor allem Migranten die Übeltäter: Eine Umfrage von TNS Infratest im Jahr 2004 ergab, dass die Bevölkerung glaubt, der Anteil der von Ausländern begangenen Straftaten sei von einem Viertel auf ein Drittel angestiegen. 23 Tatsächlich war er jedoch auf 19 Prozent gesunken – ein Trend, der seit 1998 bemerkbar ist und sich auch in der Kriminalstatistik von 2009 fortsetzt.
Interessanterweise haben diejenigen die größte Angst vor Kriminalität, die am wenigsten zu befürchten haben, nämlich ältere Menschen und Frauen (mit Ausnahme häuslicher Gewalt). Junge Männer dagegen, die am wenigsten Angst haben, werden besonders oft angegriffen. Wie lässt sich das erklären? Da ältere Menschen und Frauen glauben, ständig in Gefahr zu sein, gehen sie seltener an Orte, wo Gefahr droht, und vermeiden auch sonst Situationen, die gefährlich sein könnten. Junge Männer indes glauben, ihnen könne nichts passieren. Deshalb leben sie risikoreicher – und werden häufiger zum Opfer.
Hagen, März 2010 : Vier 16 -Jährige schlagen am Hagener Hauptbahnhof einen 33 -Jährigen schwer zusammen. Der Mann hatte die rangelnden Jugendlichen zuvor gebeten, aufzupassen, dass sie nicht auf die Gleise stürzen. Gegen die vier Jugendlichen wurde ein Ermittlungsverfahren wegen gefährlicher Körperverletzung eingeleitet.
Die Medien
Dass die Öffentlichkeit die Lage so fatal falsch einschätzt, liegt zu einem großen Teil an den Medien, allen voran das Boulevard. Denn kaum etwas verkauft sich besser als Mord und Totschlag. Bei Lesern und Zuschauern entsteht dadurch der Eindruck besonders vieler, besonders brutaler Vorfälle. Auch TV-Sendungen wie » Richterin Barbara Salesch « , » Lenßen & Partner « oder » K 11« leisten dazu ihren Beitrag: Gewalt ist in deutschen Wohnzimmern erlebbar – ohne dass die Menschen dafür auch nur einen Schritt vor die Tür setzen müssen.
Zunehmend beeinflusst das Fernsehen die Bevölkerung auch mit Fantasie-Dokumentationen. Die privaten Sender entwickeln Formate, bei denen sich Realität und Fiktion bis zur Unkenntlichkeit vermischen. Scripted Reality, Realtainment und Emotainment – dahinter verbergen sich Produkte, die wie eine Dokumentation oder Reportage aufgezogen sind, deren Inhalte die Autoren aber komplett erfinden. Statt echte Schauspieler zu engagieren, casten die Produktionsfirmen Laiendarsteller. Dadurch wirkt alles besonders echt und glaubwürdig. Auch bei Inszenierung, Kameraauflösung und Postproduktion verwenden die Macher Stilmittel, die für das » wirklich Erlebte « stehen sollen: Wackelkamera oder » Amateurvideo-Look « sorgen dafür, dass der Zuschauer glaubt, die Ereignisse haben sich tatsächlich so zugetragen.
Die Programmplaner der Privatsender bedienen das voyeuristische Interesse ihrer Zuschauer mittlerweile den ganzen Nachmittag. Und noch vor dem Sandmännchen senden sie Filme, in denen von Taschendieben, Schlägern bis hin zu Schwerstkriminellen alles zu sehen ist. Kein Wunder, dass die Zuschauer die Welt als zunehmend bedrohlich, brutal und gewalttätig empfinden.
Vor allem in den letzten zwei Jahren hat sich das Privatfernsehen zunehmend auf die Misere in sozial schwachen Familien gestürzt. » Die Schulermittler « , » Betrugsfälle « und » Familien im Brennpunkt « zeigen uns glaubwürdig, wie kurz der Weg vom Hartz-IV-Empfänger zum Kleinkriminellen ist. Die Inhalte bewegen sich auf Boulevard-Niveau, und auch hier kommen die Geschichten aus der Retorte.
München, Juni 2009 : Sie waren auf der Suche » nach dem Kick « . Drei Schweizer Jugendliche ziehen Ende Juni 2009 durch die Münchner Innenstadt und
Weitere Kostenlose Bücher