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Zivilcourage - Keine Frage

Titel: Zivilcourage - Keine Frage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Wagner , Constanze Loeffler
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verändert?
    Ich habe mit ein paar Leuten angefangen, ein Training zu entwickeln, in dem man lernt, wie man sich als Helfer in Gewaltsituationen am besten verhält. Ich habe damals viel Selbstverteidigung gemacht. Aber man braucht keine zehn Jahre Kampfsport, um solch einer Situation gewachsen zu sein. Das gilt für Opfer und Helfer.
    Worum geht es in Ihren Trainings?
    Ziel ist es, den Menschen für eine Gewaltsituation zu stärken, sei es, weil er selbst Opfer wird oder weil er jemandem helfen will. Dafür braucht man vor allem eine innere Einstellung und nur zu einem geringen Teil wirksame Kampftechniken. Die Teilnehmer lernen, die jeweilige Situation abzuschätzen und geeignete Strategien zu entwickeln. Um sich nicht selbst in Gefahr zu bringen, sollte auch jeder seine Grenzen kennen.
    Was genau meinen Sie mit » innerer Einstellung « ?
    Die meisten Menschen, die nicht eingreifen, sind grundsätzlich gewillt zu helfen. Sie wissen nur nicht wie. Sie haben Angst, sich in Gefahr zu bringen. Sie haben Angst vor möglichen juristischen Konsequenzen. Sie haben Angst, etwas falsch zu machen. Die Angst lähmt sie. Ich versuche in den Trainings, Ängste, Hemmungen und psychische Barrieren abzubauen, damit die Leute sich unter realistischen Bedingungen wehren oder eingreifen können. Sie sollen Mut entwickeln, in die Situation hineinzugehen und Zivilcourage zu zeigen. Ich helfe beim Helfen.
    Wie kann das Eingreifen konkret aussehen?
    Es gibt ein paar grundsätzliche Dinge: Flucht! Laufen Sie dahin, wo Menschen sind. Rennen Sie zum nächstbesten Haus und klingeln Sie, egal, wie spät es ist. Schreien! Das schockt und erregt die Aufmerksamkeit der anderen. Nutzen Sie die Schocksekunde zur Flucht. Ansprechen! Bitten Sie Leute um Hilfe. Selbstsicheres Auftreten! Straffe Schultern, aufrechter Gang, Blick in die Augen. Und halten Sie sich den Täter vom Leib. Sagen Sie klar und deutlich: Bleiben Sie stehen! Reagiert er nicht darauf, wiederholen Sie sich: Bleiben Sie stehen! Stopp! Hilfreich ist auch, die Hände abwehrend in Schulterhöhe auszustrecken. So können Sie Ihre Sicherheitszone verteidigen.
    Wie gehen Sie bei den Trainings vor?
    Wir machen Rollenspiele, in denen ich den Täter mime. Er trägt eine schwarze Lederjacke und ein Käppi. Ich bin dann nicht mehr Jens Mollenhauer, sondern irgendein ungehobelter oder gewalttätiger Typ, der mitunter auch angetrunken ist. Das Training verursacht bei den Teilnehmern immensen emotionalen Stress. Genau das will ich erreichen, denn nur so können die Leute in einer realen Situation anwenden, was sie im Kurs gelernt haben.
    Zwischen der Situation, die ich mir vorstelle, und der Realität liegen Welten.
    Ja, das hört sich immer alles so einfach an: Rufen Sie laut nach Hilfe. Was, wenn Sie vor lauter Aufregung keinen Ton rausbringen, oder der Täter Sie würgt? Was machen Sie denn, wenn Sie vorschriftsmäßig den Herrn im roten Pullover oder die Frau im Trenchcoat ansprechen, Ihnen zu helfen – die aber wegschauen oder weitergehen? Wie sprechen Sie Jugendliche an? Den Zeigefinger zu heben ist die beste Voraussetzung dafür, dass eine Situation eskaliert.
    Wie sollte man als Erwachsener denn auf jugendliche Täter zugehen?
    Man darf die Jugendlichen weder mit Worten noch mit Taten provozieren. Fassen Sie sie auch nicht an. Sonst heißt es später, der hat mich zuerst angepackt, ich habe bloß in Notwehr gehandelt. Belehren Sie die Jungs nicht, das kommt fast immer ganz schlecht an. Versuchen Sie einen guten Aufhänger zu finden, wenn Sie mit ihnen reden. Das ist nicht leicht, bedarf etwas Fantasie. Wir üben das in den Kursen mit ganz speziellen Situationen.
    Kann es manchmal besser sein, gar nichts zu tun?
    Wer nicht hilft, begeht eine Straftat. Irgendetwas geht immer: Mit dem Handy den Notruf absetzen, weglaufen, um Hilfe zu holen, sich den Täter genau anschauen und sich sein Aussehen einprägen oder wenigstens als Zeuge zur Verfügung zu stehen. Selbst das erfordert Mut. Die Jungs, die mich damals auf dem Dom verhauen haben, kamen alle aus dem Türsteher-Milieu von der Hamburger Reeperbahn, das waren echte Street Boys. Gegen die auszusagen überlegt man sich dreimal.
    Was sagen Sie zum Verhalten Dominik Brunners?
    Ich finde es vorbildlich, dass Brunner eingegriffen hat. Dass die Medien sein Vorgehen mittlerweile infrage stellen, halte ich für falsch. Dadurch wird das Thema Zivilcourage weiter kaputtgemacht. Die Leute werden immer ängstlicher – und greifen dadurch noch

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