Zivilcourage - Keine Frage
seltener ein. Dabei sind der Vorfall und sein dramatischer Ausgang wirklich ein Einzelfall. Die Gewalt hierzulande ist gesunken, selbst in Großstädten wie Hamburg und Berlin. In den meisten Fällen kann der Helfer Schlimmeres verhindern, ohne dass ihm dabei etwas passiert.
Wie verhält man sich in einer Gewaltsituation richtig?
Es gibt keine Bedienungsanleitung, die für jede Situation passt. Bin ich ein großer durchtrainierter Mann, dann kann ich mich auf den Täter konzentrieren. Als Frau könnte das für mich tödlich sein. Vielleicht ist es dann besser, einfach nur laut zu schreien. So werden Passanten auf die Situation aufmerksam, kommen dazu oder holen Hilfe. Es geht immer darum, die Situation und seine persönlichen Möglichkeiten einzuschätzen.
Wie verhindere ich, dass ich im entscheidenden Moment nicht kneife?
Üben, üben, üben. Sie können Gefahrensituationen immer wieder gedanklich durchspielen und sich dadurch mental vorbereiten. Überlegen Sie, was Sie tun würden. Seien Sie dabei realistisch, schließlich wollen Sie sich ja selbst nicht gefährden.
9 Aus dem Alltag gegriffen
Das rät der Profi, wenn es eng wird
Zivilcourage ist in vielen Situationen gefragt. Ob und wie wir helfen, hängt nicht nur von unserem Mut ab und dem Wissen, was genau zu tun ist. Auch die Tageszeit, der Ort des Geschehens und die Beteiligten sind entscheidend. So ist es ein Unterschied, ob wir mit vielen anderen in der U-Bahn eine Pöbelei mitbekommen oder nachts als Einziger eine Vergewaltigung beobachten.
Vom Streit zwischen Mann und Frau, einem Kind in Gefahr, über Mobbing und Erpressung durch Jugendliche bis hin zu sexueller Gewalt hält das Leben unendlich viele Situationen bereit, in denen wir Zivilcourage zeigen können und sollen.
Jede Situation erfordert eine andere sensible Herangehensweise. Die einzige Gemeinsamkeit, die die unterschiedlichen Notsituationen haben: Sie können sie sich nicht aussuchen, sondern sind plötzlich mittendrin. Zivilcourage ist eine spontane Reaktion, bei der Ihr schnelles Handeln gefragt ist.
Damit Ihr Eingreifen Sie nicht selbst in Gefahr bringt, können Sie an dieser Stelle üben. Klar ist: Es gibt nie nur die eine Lösung. Je nach Tagesform, abhängig von der konkreten Situation und von vielen weiteren Faktoren hilft mal dieses, mal jenes Verhalten.
Auf den folgenden Seiten finden Sie Szenen, wie sie entweder bereits passiert sind oder passieren könnten – vom Mobbing am Arbeitsplatz bis hin zu häuslicher Gewalt. Testen Sie Ihr zivilcouragiertes Verhalten und fragen Sie sich bei jeder Szene, was Sie genau tun würden. Margarete Boos, Professorin für Sozialpsychologie an der Universität Göttingen und Mitentwicklerin des Göttinger Zivilcourage-Impulstrainings, bewertet die Situation anschließend aus ihrer professionellen Sicht.
9.1 | Als Frau allein unterwegs
Es ist spät geworden. Gemeinsam mit einer Freundin sind Sie auf dem Heimweg von einer Party. Sie wohnen zwei Straßen weiter und verabschieden sich daher an der Haustür der Freundin voneinander. Ein paar Minuten später bemerken Sie, dass Ihnen jemand folgt. Sie drehen sich um. Richtig, ungefähr 50 Meter hinter Ihnen laufen zwei Männer. Die beiden kommen schnell näher. In Ihrem Kopf dreht es sich, Sie haben etwas getrunken, können keinen klaren Gedanken fassen. Sind die beiden wirklich hinter Ihnen her, oder spielt Ihre Fantasie Ihnen einen bösen Streich? Fieberhaft überlegen Sie, was Sie tun könnten. Dummerweise haben Sie den kürzeren Weg durch den kleinen Anwohnerpark genommen, der in dieser frühen Morgenstunde menschenleer ist.
Expertentipp:
Lange zu überlegen, ob die beiden harmlos oder gefährlich sind, kostet Sie in dieser Situation wertvolle Zeit. Da um die Uhrzeit und an diesem einsamen Ort keiner Ihre Hilfeschreie hören wird, haben Sie nur eine Chance: weglaufen. Sie haben hochhackige Schuhe an und eine schwere Tasche dabei? Trennen Sie sich davon und rennen Sie so schnell wie möglich dahin, wo Menschen sein könnten. Peilen Sie die nächste Kneipe oder Tankstelle an. Wenn Sie einen Schrillalarm dabei haben, benutzen Sie ihn. Sind die Jungs schon zu nah, verwenden Sie Pfefferspray, falls Sie eines dabei haben. Achten Sie dabei auf die Windrichtung. Alternativ nehmen Sie Ihren Schlüssel wie einen Schlagring – die einzelnen Schlüssel zwischen die Finger – in die Hand. Das Gleiche gilt, wenn Sie im verwaisten Parkhaus, beim Joggen im Park oder in einer unbelebten Seitenstraße
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