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Zoë

Titel: Zoë Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Carmichael
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»Schlag dir das aus dem Kopf, Herzchen«, kicherte Ray mir ins Ohr. »Von all dem kriegst du nie was.«
    Ich schüttelte das Gefühl ab und betrachtete die Gegenstände auf Henrys Schreibtisch: einen ausgeschalteten Laptop, zwei aufgeschlagene Ärztezeitschriften, stapelweise Papiere und Ordner, einen Haufen Briefe, manche geöffnet, manche noch zu, noch mehr Blöcke mit allen möglichen Skizzen, dazu Stifte und Späne vom Anspitzen. Auf einer Ecke vom Tisch drohte ein Berg Zeitschriften umzukippen. Sie hatten Titel wie Artforum , Bildende Kunst und Kunstjournal .
    Ganz oben auf dem Stapel lag die neueste Ausgabe von Art International . Auf dem Umschlag war ein jüngerer, mürrischer Henry zu sehen, darüber stand: WO IST ROYSTER ? Vom Verschwinden eines amerikanischen Meisters. Ich wollte gerade danach greifen, als ich ein Scheckbuch entdeckte, das mitten auf dem Schreibtisch lag, offen. Als ich den letzten Eintrag las, durchfuhr es mich wie ein elektrischer Schlag: Rose Hill Hospital, $   5450 . Rose Hill Hospital, so hieß das Krankenhaus, in das Mama mit dem Rettungswagen gebracht worden war, der Ort, an dem sie gestorben war.
    »Ich habe geklopft, aber niemand hat geantwortet«, sagte eine Stimme von der Tür.
    Ich zuckte zusammen, die Zeitschriften und mein leerer Kaffeebecher fielen zu Boden, der Becher zerbrach. Ein silberhaariger Mann, dessen Haut die Farbe von Milchschokolade hatte und so runzlig war wie eine Walnuss, spähte zur offenen Tür herein. Er hatte ein breites, freundliches Gesicht, und aus den Taschen seines Overalls guckten alle möglichen Werkzeuge hervor.
    »Ich bin Fred, Fred Montgomery. Du musst Zoë sein.«
    »Sie haben mir einen Mordsschrecken eingejagt«, sagte ich.
    »Vielleicht lernst du so, dass man nicht rumschnüffelt.« Er warf mir einen verschmitzten Blick zu und wies mit dem Kopf auf die Papiere auf Henrys Schreibtisch.
    »Wollte bloß mal gucken, wo ich hier gelandet bin. Verraten Sie mich?«
    Fred sah mich beleidigt an. »Ach was. Ich bin ja froh, dass es hier jemand gibt, der noch neugieriger ist als ich.«
    Ich wusste nicht, was ich antworten sollte, also sagte ich erst einmal nichts. Eigentlich machte er einen ganz netten Eindruck, andererseits war das bei jedem von Mamas Freunden am Anfang so gewesen, sogar bei Ray.
    »Meine Frau – Bessie – und ich wohnen etwa einen Kilometer von hier«, fuhr er fort. »Für so junge Beine wie deine ist das gerade mal ein kleiner Spaziergang.«
    »Henry hat gesagt, Sie helfen ihm.«
    »Das stimmt.«
    »Als so eine Art Mädchen für alles?«
    »Sozusagen. Ich koche, spüle, putze. Ich helfe beim Schleppen, Schweißen, Schleifen. Henry nennt mich seine rechte Hand, aber das klingt mir zu hochgestochen. Hast du schon Frühstück gehabt?«
    Ich nickte.
    »Magst du noch was von dem, was in dem Becher da war?«, fragte er mit Blick auf die Scherben am Boden.
    »Schon.«
    »Saft? Milch?«
    »Kaffee.«
    Er schmunzelte kopfschüttelnd. »Na, dann heb mal die Scherben auf, während ich frisches Wasser aufsetze.«
    Als ich fertig war, hatte Fred bereits Kaffee aufgegossen. Auf dem Tresen in der Küche warteten zwei Becher. »Das mit deiner Mama tut mir wirklich leid«, sagte er, als ich in die Küche kam. »Und auch das mit deinem Daddy. Die ganze schlimme Geschichte.«
    »Danke«, antwortete ich, ohne ihn anzusehen. Ich hatte keine Lust auf das Thema.
    Er lehnte sich mit dem Rücken an den Tresen, drehte den Kopf und sah aus dem Fenster. »Wie ich höre, haben wir einen heimlichen Gast.«
    »Gast?«
    »Einen, auf den du fünfzig Dollar wettest.«
    »Der Kater!« Ich zog mir einen Stuhl zur Spüle hinüber, kletterte hinauf und sah mit zusammengekniffenen Augen in den Hof hinaus, doch Freds bonbonroter Lieferwagen versperrte mir den Blick. Ich pfiff anerkennend.
    »Mein Büro«, sagte er stolz. »Gefällt es dir?«
    »Ich kann schon fahren«, sagte ich und warf ihm einen kurzen Blick zu.
    »Das habe ich gehört.« Er goss Kaffee ein und reichte mir einen Becher, dann sah er mir zu, wie ich damit zum Tisch ging, meine acht Löffel Zucker hineinschaufelte und einen Schluck Milch dazutat. »Was wolltest du gerade sagen? Über die Katze?«
    »Ich hab sie nicht wirklich gesehen, deshalb glaubt Henry mir nicht. Aber sie ist da draußen. Schon ziemlich lange.«
    »Wieso glaubst du das?«
    »Ich habe einen Sinn für Tiere. So hat Lester sich ausgedrückt. Einen siebten Sinn.«
    »Wer ist Lester?«
    »Einer von Mamas Freunden.«
    »Freunden?«
    Ich

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