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Zoë

Titel: Zoë Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Carmichael
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den Kopf gegangen.
    Ich schwieg. Hätte er das an Erntedank gesagt, dann hätte ich geantwortet: Prima, nur zu! Aber Bessie hatte gemeint, Harlan sei ein Streuner, so wie Herr Kommkomm, und verdiene unsere Freundlichkeit.
    »Ich wollte …«, fing er an, brach aber gleich wieder ab und sah auf den Boden, so als suchte er dort etwas, was er verloren hatte.
    »Was?«
    »Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll.« Er betrachtete seufzend seine Füße. »Ich bin nicht so geschickt mit Worten wie du.«
    »Dann versuch’s mit Gefühlen.«
    Er dachte nach. »Ich will dir sagen, dass es mir leid tut, aber andererseits weiß ich eigentlich nicht, was mir leid tun soll. Ach, zum Teufel, so meine ich es eigentlich auch nicht.«
    Ich wartete.
    Er seufzte und fing neu an. »Es tut mir leid, dass deine Mama auf die Art gestorben ist, und es tut mir leid, dass ich nicht mehr für dich tun konnte, solange ich mit ihr zusammen war.«
    »Du hast getan, was du konntest.« Das meinte ich zwar nicht wirklich, aber ich wollte ihm ein Stück entgegenkommen.
    »Aber es hat nichts gebracht!« Harlan schüttelte den Kopf. »Das ist es ja, was ich sagen will. Ich will einfach nur, dass du weißt, wie leid es mir tut. Wenn ich jetzt irgendwas für dich tun kann, dann tu ich’s, selbst wenn es bedeutet, dass ich von hier weg muss.«
    Jetzt sah er mir direkt in die Augen und wartete. Ich brachte es nicht über mich, hartherzig zu sein. »Es war, wie es war«, sagte ich und wich seinem Blick aus.
    »Ich weiß«, antwortete er. »Aber es war nicht richtig. Nicht für so ein kleines Kind wie dich, meine ich. Du hast eine gute Art, die Dinge zu sehen, das bewundere ich an dir.«
    Ich weiß nicht, wieso, aber ein bisschen geschmeichelt fühlte ich mich schon, als er das sagte.
    »Also, du musst es nur sagen, dann bin ich gleich weg. Du hast es wirklich gut hier, und ich will dir da nichts vermasseln.«
    Trotz meiner Allergie gegen alles, was mit Mama zu tun hatte, konnte ich so einem Häufchen Elend wie Harlan nicht ins Gesicht sagen, er solle sich vom Acker machen. »Harlan?«
    »Was?«
    »Hatte Mama auch gute Seiten?«
    »Wie meinst du das – ob sie gute Eigenschaften hatte? Oder ob sie in irgendwas gut war?«
    »Beides.«
    Er stand auf, holte sich seine Wasserflasche aus dem Wohnwagen und setzte sich auf die mittlere Stufe. Dort saß er eine Weile, trank und dachte nach.
    »Dachte ich mir schon«, sagte ich und wandte mich ab, um in die Hütte zu gehen.
    »He, stopp, jetzt warte doch mal«, sagte er und klang ein bisschen sauer. »Ich bin nicht so schnell. Seit damals sind bei mir ’ne Menge grauer Zellen kaputtgegangen. Sie konnte richtig witzig sein, das weiß ich noch; sie hat gerne gelacht. Und eine hübsche Stimme hatte sie. Einmal, erinnere ich mich, da hattest du Ohrenschmerzen, und sie hat dir was vorgesungen. Ganz lange. Hat dich gewiegt und dazu gesungen, bis du eingeschlafen bist.«
    »Davon weiß ich nichts mehr.«
    »Vermutlich nicht. Es ging dir auch richtig schlecht damals.«
    »Was hat sie denn gesungen?«
    »Lass mich mal überlegen.« Er summte ein bisschen vor sich hin, aber er war nun mal nicht musikalisch. »Ich krieg’s nicht mehr zusammen, aber es war jedenfalls hübsch. Sonst hat sie nicht oft gesungen, es würde sie zu sehr an ihre eigene Mama erinnern, und dann würde sie bloß traurig, hat sie gesagt.«
    »Ich kann mich sowieso an kaum was erinnern«, sagte ich. »Gleich nachdem sie – na ja, gestorben ist, hat Ray ihren ganzenKram zur Müllkippe gebracht. Komplett. So sauer war er. Ich kann’s ihm auch nicht verdenken.«
    »Trotzdem war’s mies, alles wegzuschmeißen.«
    »Ach, ich weiß nicht. Wenn er’s nicht getan hätte, wer weiß, vielleicht hätte ich’s selber gemacht. Es war echt mies von ihr, all diese Pillen zu schlucken.«
    Harlan blickte auf irgendeinen Punkt in der Ferne. »Das war’s sicher«, sagte er. »Aber vielleicht kann man’s auch anders sehen: Wenn sie’s nicht getan hätte, dann wärst du jetzt nicht hier.«
    »Was??«
    »Oje, das hätte ich jetzt nicht sagen dürfen.« Er schien plötzlich über sich selbst entsetzt. »Wieso hab ich nicht die Klappe gehalten? Bei mir fehlen einfach die Stoppschilder zwischen Gehirn und Zunge!«
    »Nein, ich will das jetzt wissen, Was hast du gemeint?«
    Er starrte weiter in die Ferne und schüttelte den Kopf. »Lass diese Dinge ruhen. Lass den ganzen Kram ruhen.«
    »Bitte«, sagte ich.
    Er drehte sich zu mir um. »Na schön, wenn du unbedingt

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