Zombieparade: Storys (German Edition)
sicheren Unterschlupf im eingestürzten Komtar Tower in Georgetown. Mehr als die Gewissheit, dass weder Sonnenbrüter noch Sonnenlicht dort einzudringen vermochten, konnten wir momentan nicht verlangen. Laila lag stumm auf dem Rücken, während Rauch von ihren
Verletzungen aufstieg, und ich konnte nichts anderes tun, als den verstümmelten Stumpf ihrer Hand zu halten und leise Schlummerlieder einer fernen, fast vergessenen Jugend zu flüstern.
Sieben Nächte verweilten wir in unserem behelfsmäßigen Bau. Laila erholte sich langsam, während ich mich in der Dunkelheit auf die Jagd nach Blut machte. Noch gab es einige lebende Menschen in Penang, die tapfer kämpften, während eine Angriffswelle der Subtoten nach der anderen aus dem Meer kam. In diesen Nächten erlebte ich die besten Eigenschaften ihrer Art und die schlechtesten von unserer.
Es gibt keinen schlimmeren Albtraum, als mit ansehen zu müssen, wie jemand deiner eigenen Rasse einen anderen deiner Rasse tötet. Das Opfer war kleiner und schwächer. Ein größerer Mann hatte sie, die kaum bei Bewusstsein war, einer Mahlzeit wegen ermordet. Wahnsinn? Es gab doch immer noch so viele andere Sonnenbrüter. Warum sich wegen dieser einen zanken? Wahnsinn. In diesen sieben Nächten wurde ich Zeuge mehrerer anderer Morde, eingeschlossen einem, der scheinbar grundlos geschah. Es handelte sich um zwei ebenbürtige Männer, die aufeinander einschlugen und sich bissen und versuchten, einander das Herz herauszureißen.
Ich bildete mir in dem Moment ein, dass ich ihren Wahnsinn regelrecht sehen konnte, eine lebendige Wesenheit reinster Tollwut, die meine Brüder gegeneinander kämpfen ließ wie die Zinnsoldaten eines sadistischen Kindes. Später fragte ich mich, ob es sich bei dem Zweikampf nicht um Mord, sondern womöglich um Selbstmord in beiderseitigem Einvernehmen gehandelt haben könnte.
Auch für mein Volk gehörte es nicht zum Unerhörten, sich das Leben zu nehmen. Unsterblichkeit hat schon seit jeher zu Verzweiflung geführt. Einmal in jedem Jahrhundert hörten wir Geschichten von jemandem, der »in ein Feuer« gelaufen war. Persönlich hatte ich so etwas noch nie miterlebt. Jetzt wurde ich Nacht für Nacht Zeuge davon. Unter Tränen sah ich mit an, wie so viele meiner Gattung, so viele bildschöne, starke, scheinbar unverwundbare Prachtexemplare, einfach in brennende Gebäude hineinliefen. Darüber hinaus musste ich mehrere Suizide durch Subtote miterleben, wenn einige meiner Freunde freiwillig die Fangzähne in das verwesende Fleisch der wandelnden Pest schlugen. Ihr qualvolles Heulen plagte mich, wenn ich wach war, doch nichts brach mir so sehr das Herz wie die Nacht, in der ich Nguyen fand.
Er schlenderte zwischen den Überresten von Subtoten
und Sonnenbrütern mitten auf der Macallister Street dahin. Sein Gesicht sah friedlich, fast verklärt aus. Anfangs bemerkte er mich offenbar gar nicht. Sein starrer Blick war in den leuchtenden Osten gerichtet. »Nguyen!«, rief ich nervös, da ich keine Zeit mehr vergeuden und »nach Hause« wollte. Es wurde immer schwerer, Beute zu machen, und ich wollte mit meinem Fang zu Laila, bevor die Sonne aufging. »Nguyen!«, rief ich mit wachsender Ungeduld. Nach meinem dritten Ruf drehte sich der alte Existenzialist endlich um. Er sah mich auf den Trümmern einer antiken Moschee stehen und winkte mir freundlich zu. »Was machst du …«, begann ich, doch er unterbrach mich.
»Ich gehe der Dämmerung entgegen.« Sein Tonfall hörte sich an, als wäre das eine offensichtliche und vorhersehbare Vorgehensweise. »Ich gehe einfach der Dämmerung entgegen.«
Ich erzählte Laila nicht, was ich gesehen hatte, so wenig wie von den anderen Schrecken außerhalb unserer kleinen Höhle. Während sie sich an der kaum noch atmenden Nahrung gütlich tat, stellte ich mein strahlendstes Lächeln zur Schau und wiederholte die Worte, die ich im Geiste bereits einstudiert hatte. »Alles wird gut«, begann ich. »Ich weiß, wie wir hier rauskommen.« Die Idee war mir an jenem
ersten Tag unter dem Schiff gekommen, und in den vergangenen Nächten hatte ich sie ausgefeilt.
»Viehwirtschaft«, erklärte ich und sah, wie sie die immer noch heilende Stirn verwundert runzelte. »So wurden die Sonnenbrüter zur vorherrschenden Spezies auf diesem Planeten. Irgendwann jagten sie Tiere nicht mehr nur, sondern domestizierten sie. Das werden wir auch machen!« Bevor sie etwas sagen konnte, legte ich ihr eine Hand auf die kaum verheilten Lippen. »Denk
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