Zombieparade: Storys (German Edition)
eine gewisse Zeit am Leben zu erhalten, indem ich ihnen Nahrung und Wasser gebe und sie tagsüber ankette, wenn ich mich zurückziehe. Ich entsinne mich, wie einmal jemand von den
Sirenen einen ähnlichen Plan diskutierte. Wenn ich sorgfältig rationiere und schnellstmöglich reise, könnte ich vielleicht sogar eine ordentliche Strecke über Land zurücklegen. Doch die Frage, was ich dabei finden könnte, hält mich hier auf Penang fest. Wenn man unwissend ist, kann man sich wenigstens Fantasien hingeben, und in diesen Nächten bleibt mir nichts anderes mehr als Fantasien.
In meinen Fantasien wird die Erde nicht von abstoßenden wandelnden Leichnamen bevölkert. In meinen Fantasien überleben die Kinder des Tages wie der Nacht so lange, bis die Subtoten zu Staub zerfallen sind. Darum habe ich diese Erinnerungen auf Papier, Holz und sogar Glas festgehalten, wie einen »apokalyptischen Roman« der Menschen. In meinen Fantasien vergeude ich meine letzten Nächte nicht mit vergeblichem malthusianischem Schwadronieren. Da dienen meine Worte als Anleitung, als Warnung, die sich am Ende als Rettung der Art erweist, die alle unter dem Namen Vampire kennen. Da bin ich nicht das letzte Fünkchen, das unbedachterweise zugelassen hat, dass es erlischt. Da bin ich nicht der letzte Tänzer in einer Zombieparade.
Die Chinesische Mauer
Eine Geschichte aus dem Zombie-Krieg
Das nachfolgende Interview führte der Autor im Rahmen seiner offiziellen Pflichten bei der Kommission für Nachkriegsdatenerfassung der Vereinten Nationen. Zwar wurden Auszüge in offiziellen UN-Berichten veröffentlicht, das Interview in seiner Gesamtheit jedoch findet sich nicht in Brooks persönlicher Publikation, die aufgrund bürokratischer Fehlleistungen in den Archiven der UN heute den Titel Operation Zombie. Wer länger lebt, ist später tot trägt. Der nachfolgende Text ist ein Bericht aus erster Hand, von einem Überlebenden der schweren Krise, die heute allgemein nur noch als »Zombie-Krieg« bezeichnet wird.
DIE CHINESISCHE MAUER:
ABSCHNITT 3947-B, SHAANXI, CHINA
Liu Huafeng begann ihre berufliche Laufbahn als Verkäuferin im Kaufhaus Takashimaya in Taiyuan und besitzt heute einen eigenen kleinen Laden in
Sichtweite ihrer ehemaligen Arbeitsstätte. An diesem Wochenende hat sie, wie an jedem ersten Wochenende im Monat, Reservistendienst. Mit Funkgerät, Flammenwerfer, Fernglas und einem »Dadao« ausgestattet, einer modernisierten Version des antiken chinesischen Breitschwerts, patrouilliert sie an dem fünf Kilometer langen Abschnitt der Chinesischen Mauer und hat »nur den Wind und meine Erinnerungen« als Gesellschaft.
Dieser Abschnitt der Mauer, der Abschnitt, in dem ich arbeitete, erstreckt sich von Yulin bis Shemnu. Ursprünglich war er von der Xia-Dynastie erbaut worden und bestand aus gestampftem Sand und mit Schilfgras bepflanzter Erde, beiderseits begrenzt von Stützwänden aus Lehmziegeln. Auf Postkarten für Touristen wurde er nie abgebildet. Einem Vergleich mit den Abschnitten aus der Ming-Ära, als »Drachenrückgrat« zum Wahrzeichen geworden, hätte er nie und nimmer standgehalten. Er war schmucklos und zweckdienlich, und zu der Zeit, als wir mit dem Wiederaufbau begannen, war er fast vollständig verfallen.
Tausend Jahre Erosion, Stürme und Versteppung hatten einen drastischen Tribut gefordert. Die Folgen des menschlichen »Fortschritts« erwiesen sich als gleichermaßen verheerend. Im Lauf der
Jahrhunderte hatten Einheimische die Lehmziegel geplündert und als Baumaterial verwendet. Auch der moderne Straßenbau trug seinen Teil bei, und es wurden ganze Sektionen eingerissen, wenn sie den »lebenswichtigen« Überlandverkehr behinderten. Und was die Natur und die baulichen Aktivitäten in Friedenszeiten begonnen hatten, das vollendeten die Krise, die Seuche und der anschließende Bürgerkrieg im Lauf von nur wenigen Monaten. An manchen Stellen blieben nur noch bröckelnde Hügel gestampfter Füllmasse übrig. An vielen anderen Stellen rein gar nichts mehr.
Ich wusste nichts vom Plan unserer Regierung, die Mauer als Bestandteil unserer nationalen Verteidigung neu aufzubauen. Zu Beginn wusste ich nicht einmal, dass auch ich für diesen Wiederaufbau eingeteilt war. In den Anfangstagen hatte ich es mit so vielen verschiedenen Menschen und Sprachen zu tun – regionalen Dialekten, die mir so unverständlich vorkamen wie Vogelgezwitscher. In der Nacht, als ich eintraf, sah man nur Fackeln und die Scheinwerfer einiger liegen
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