Zombieparade: Storys (German Edition)
gebliebener Autos. Ich hatte einen neuntägigen Fußmarsch hinter mir. Ich war müde und ängstlich. Anfangs wusste ich nicht, was ich gefunden hatte, nur dass es sich bei den umherhuschenden Gestalten vor mir um Menschen
handelte. Ich weiß nicht, wie lange ich da gestanden habe, bis einer der Arbeiter mich entdeckte. Er kam herüber und plapperte aufgeregt. Ich wollte ihm begreiflich machen, dass ich ihn nicht verstand. Er war frustriert und zeigte zu einer Baustelle hinter sich, einen Ort massenhafter Aktivitäten, der sich links und rechts bis in die Dunkelheit erstreckte. Abermals schüttelte ich den Kopf, zeigte auf meine Ohren und zuckte die Achseln wie eine Schwachsinnige. Er seufzte wütend, dann hob er die Hand. Ich sah, dass er einen Ziegelstein hielt. Da ich dachte, er wollte mich damit erschlagen, wich ich erschrocken zurück. Doch dann drückte er mir den Ziegelstein in die Hand, zeigte zu der Baustelle und stieß mich in diese Richtung.
Ich kam auf Armeslänge an den ersten Arbeiter heran, der mir den Ziegelstein sofort aus der Hand riss. Dieser Mann stammte aus Taiyuan, und ich verstand ihn klar und deutlich. »Worauf zum Henker wartest du?«, fuhr er mich an. »Wir brauchen mehr! Geh! GEH!« Und so wurde ich für die Arbeit an der neuen Chinesischen Mauer »rekrutiert«.
[Sie zeigt zu dem einheitlichen Bauwerk aus Beton.]
In diesem ersten hektischen Frühling sah sie ganz und gar nicht so aus. Was Sie hier sehen, das sind
neuere, renovierte und verstärkte Teile, die den neuesten Standards nach dem Krieg entsprechen. Damals verfügten wir nicht annähernd über solche Baustoffe. Der größte Teil unserer erhalten gebliebenen Infrastruktur lag auf der falschen Seite der Mauer.
Auf der Südseite?
Ja, auf der Seite, die einmal sicher war, auf der Seite, zu deren Schutz die Mauer … jede Mauer, von den Xia bis zu den Ming, ursprünglich erbaut worden war. Die Mauern bildeten einst eine Grenze zwischen den Besitzenden und den Besitzlosen, zwischen den wohlhabenden Südländern und den Barbaren des Nordens. Selbst in der heutigen Zeit liegen unsere Fabriken, das meiste Ackerland, unsere Straßen, Eisenbahnlinien und Flughäfen, kurz gesagt alles, was wir für diese monumentale Aufgabe brauchten, auf der falschen Seite, jedenfalls in diesem Landesteil.
Ich habe gehört, dass einige Industriemaschinen während der Evakuierung nach Norden geschafft wurden.
Nur, was man zu Fuß mitnehmen konnte, und nur Sachen in unmittelbarer Nähe der Baustelle. Nichts, was, sagen wir, weiter als zwanzig Kilometer entfernt war, nichts jenseits der unmittelbaren Kampflinien
oder der isolierten Zonen tief in den verseuchten Gebieten.
Die wertvollsten Ressourcen, die wir aus den umliegenden Städten mitnehmen konnten, waren die Materialien, die zum Bau der Städte selbst verwendet worden waren: Holz, Metall, Schlackensteine, Ziegelsteine – einige der Ziegelsteine, die man ursprünglich an der Mauer geplündert hatte. Das alles floss in das improvisierte Bauprojekt ein, zusammen mit dem, was sich rasch ad hoc herstellen ließ. Wir benutzten Holz des Wiederaufforstungsprojekts »Große Grüne Mauer« 1 , Möbelstücke und schrottreife Fahrzeuge. Selbst der Wüstensand unter unseren Füßen wurde mit Geröll vermischt und bildete so einen Teil des Kerns, oder er wurde veredelt und zu Glasblöcken geschmolzen.
Glas?
Ja, Glasblöcke … [Sie zeichnet einen imaginären Umriss in die Luft, ungefähr zwanzig Zentimeter lang, breit und tief.] Ein Ingenieur aus Shijiazhuang kam auf die Idee. Vor dem Krieg besaß er eine Glasfabrik, und er dachte sich, da die reichlichsten Ressourcen der Provinz in Kohle und Sand bestanden,
warum nicht beide nutzen? Fast über Nacht entwickelte sich ein enormer Industriezweig; tausende dieser großen, milchigen Steine wurden hergestellt. Sie waren dick und schwer, und die weiche, bloße Faust eines Zombies konnte ihnen nichts anhaben. »Stärker als Fleisch«, pflegten wir zu sagen, und zu unserem Pech leider auch sehr viel schärfer. Manchmal vergaßen die Assistenten der Glaser, die Kanten zu schmirgeln, bevor sie die Blöcke für den Transport verluden.
[Sie löst die Hand vom Schwertgriff. Die Finger bleiben gekrümmt wie eine Klaue. Eine tiefe, weiße Narbe verläuft über die gesamte Breite der Handfläche.]
Ich wusste nicht, dass ich mir die Hände hätte bandagieren sollen. Der Schnitt ging bis auf den Knochen und durchtrennte die Nerven. Mir ist unbegreiflich, dass ich nicht an
Weitere Kostenlose Bücher