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Zone One: Roman (German Edition)

Zone One: Roman (German Edition)

Titel: Zone One: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colson Whitehead
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Stockwerke höher baumelte die über der Mauer zum Stillstand gekommene Riesenklaue der Maschine, von der es auf die Leichenhaufen auf der anderen Seite troff. An den Fugen der Betonmauer, wo die Klammern die einzelnen Segmente zusammenhielten, sammelten sich Blutlachen, an deren Rändern sich, wo sie trockneten, eine runzlige Haut bildete. Die Lachen wurden zu riesigen Schorfflächen.
    »Ich hoffe, Sie geben weiter, wie glatt die Dinge hier laufen«, fuhr Bozeman fort. »Dass wir eine wichtige Einrichtung sind, auch wenn es bis zum nächsten Gipfel noch lang ist.«
    »Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen.«
    »Allerdings hat Chip vielleicht recht damit, dass wir noch einen Kran gebrauchen könnten. Oder zwei.«
    Es ist anders, dachte Mark Spitz. Wonton war irgendwie seltsam. Eine Dauervibration insinuierte sich, ein jeder Bewegung und jedem Geräusch unterliegender Tremor. Vielleicht lag es an einer anormal hohen Flut von Skels an der Mauer. War das Gewehrfeuer seit seiner Ankunft einmal unterbrochen worden? Es lag wohl eher am Verlust von Bubbling Brooks. Bubbling Brooks war eines der größeren Camps, fünfzehntausend Menschen, nach dem, was er zuletzt gehört hatte. Was war eigentlich deren Betätigungsfeld gewesen, neben den Drillingen? Munition? Tabletten? Es war ihm entfallen. Einige der Soldaten hier hatten dort gearbeitet. Hatten vielleicht sogar Familie dort. Buffalo regte sich natürlich über diese Störung seines Zeitplans auf. Es musste Überlebende geben, dachte er. Ganz bestimmt. Aber nach der Häufung von guten Nachrichten in jüngster Zeit musste sich ein solcher Verlust natürlich verheerend auf die Moral auswirken. Über ihm justierten die Scharfschützen in roboterhaftem Ablauf ihre Zielfernrohre, zielten, trafen ihr Ziel und gingen zum nächsten Ziel über. Den Soldaten in Wonton blieb nichts anderes übrig, als sich an den Toten vor ihnen zu rächen, an denjenigen, die sie sehen konnten. Es für Cheyenne zu tun.
    Bubbling Brooks war eine schlechte Nachricht. Sie bestürzte Mark Spitz natürlich, aber er wusste, mit dem Zufluchtsort war nur passiert, was irgendwann mit allen Zufluchtsorten passierte: Er ging in die Binsen. Was konnte man vom abscheulichen Connecticut auch anderes erwarten? Genau diese Art von Kummer.
    Auf den glänzenden, ausgetretenen Stufen der Bank blieben sie stehen und hielten drei vorbeikommenden Soldaten die Tür auf; diese gaben eine lebhafte A-cappella-Version von »Stop! Kannst du den Schrei des Adlers hör’n?« (Titelsong aus Wiederaufbau ) zum Besten. Bozeman sagte zu Ms. Macy, man werde sich später im Sitzungszimmer wiedersehen. »Sie kommen doch allein zurecht?«
    Sie zwinkerte. »Das hier ist der Amerikanische Phönix. Man ist nie allein.«
    Während sie hineinging, betrachtete Bozeman taxierend ihren Hintern. »Gegen so ein Paar zarte Buffalo-Schenkelchen hätte ich auch nichts einzuwenden«, sagte er. Er legte Mark Spitz die Hand auf die Schulter und wechselte zu seiner Haushofmeister-Stimme über. »Ich hab dich nicht mehr gesehen, seit es passiert ist. Tut mir leid, das mit eurem Mann.«
    »Wovon reden Sie?«
    »Hätte ich nichts sagen sollen? Ich bin so ein Arschloch.«
    Sie blieben monatelang in dem Spielzeugladen. Jene andere, weniger spektakuläre und absichtsvollere Zerstörung, die das Klima des Planeten veränderte, war schon seit über hundert Jahren im Gang und bescherte dem Nordosten mildere Winter. Die Leute gewöhnten sich daran, an die ungeöffneten Streusalzsäcke, die neben den Boogie Boards der Kinder in der Garage Spinnweben ansetzten, an die abendliche Meldung von dem altehrwürdigen Eisschelf, das ins kalte Meer platschte, in die Sendung gequetscht, falls es keine dringenderen Greuel oder den Tod irgendeines Prominenten zu verzeichnen gab. Der erste Winter der Seuche war eine Rückkehr zur guten alten Zeit: Er kam früh und war unbarmherzig und endlos. Die Überlebenden ertrugen die aufeinanderfolgenden Katastrophen in ihren Zufluchtsstätten ohne den Trost wärmerer Tage. Warmes Wetter bedeutete, dass man wieder nach draußen musste.
    »Irgendwie retro«, sagte Mim, während sie die unwirklichen Schneewehen auf der Main Street betrachtete.
    »Ich weiß«, sagte Mark Spitz. »Komm zurück. Mir ist kalt.« Es war die gesündeste Beziehung, die er je gehabt hatte, und das nicht nur, weil sie vieles, wie etwa das Bedürfnis nach Nahrung, Wasser und Wärme, gemeinsam hatten. In der Zeit vor der Flut hatte Mark Spitz die Angewohnheit

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