Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zone One: Roman (German Edition)

Zone One: Roman (German Edition)

Titel: Zone One: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colson Whitehead
Vom Netzwerk:
Gewehr an. »Keiner hat mir gesagt, dass heute Casual Friday ist«, sagte er. Ob man nun der Meinung war, dass Gary schlechter aussah als das übliche, von der Seuche geschrumpelte Skel, es stand außer Frage, dass er schlechtere Manieren hatte.
    Kaitlyn tauchte auf, kam vom Flur hereingerannt, bremste dann ab und schüttelte den Kopf, während sie die Schweinerei erfasste. Sie fragte Mark Spitz, ob bei ihm alles in Ordnung sei, und ließ den Blick durch das Büro gehen. »Vier Stück, aber fünf Schreibtische«, sagte sie. Sie tappte zur Abstellkammer hinüber. Jede darin festsitzende Kreatur hätte angesichts des Tumults längst Lärm gemacht, aber Kaitlyn war eine Pedantin. Nach ihren Erzählungen zu urteilen, war sie vor der Katastrophe eine Streberin gewesen, und Mark Spitz hatte miterlebt, wie sie in den Geburtswehen des Wiederaufbaus ein Streber-Kontinuum aufrechterhielt, mit dem Daumen die Verbotskärtchen blankrieb und die von Tippfehlern wimmelnden Handbücher aus Buffalo mit einem gelben Textmarker durcharbeitete. Falls sie überlebte, würde sie fraglos auch in der kommenden, wiedergeborenen Welt, der sie entgegenkrochen, eine Streberin sein, würde pünktlich ihre Rechnungen bezahlen, sobald es wieder Waren, elementare Dienstleistungen und ein Lastschriftverfahren gab, würde sich als erste anstellen, um ihr Kreuzchen zu machen, wenn nicht gar als Wahlhelferin fungieren, sobald man sich den Luxus der Demokratie wieder leisten konnte. Wegen ihrer Beständigkeit hatte der Lieutenant ihr das Kommando über Einheit Omega gegeben, obwohl das angesichts seiner beiden anderen Alternativen keine besonders visionäre Entscheidung war.
    Sie murmelte leise »Lagebericht, Lagebericht«, während sie die Tür öffnete. In der Abstellkammer harrten Kartons und Stapel von Haftnotizblöcken, Steuerformularen und unverständlichen Krankenversicherungsunterlagen des üblichen Geschäftsgangs. Kein losstürzender Widersacher wartete zwischen den Papptellern und Styroporbechern, die hier für die jämmerlichen Bürogeburtstagsfeiern und Abschiede gebunkert waren. Kaitlyn setzte sich auf die Kante eines Schreibtischs. Sie bedachte die Leichen mit einer Grimasse, erschüttert von ihrer Zahl und der Erinnerung daran, dass sie ihre Einheit vom vorgeschriebenen Verfahren hatte abweichen lassen. »Hab mir gleich gedacht, dass es zu ruhig ist«, sagte sie.
    Die Besitzerin des Schreibtischs hatte eine Diät-Cola getrunken und einen Bestseller gelesen, einen Liebesroman/Krimi, an den sich Mark Spitz von Anzeigen in Bussen erinnerte. Welches war es gewesen, spekulierte er: das ohne Gesicht da drüben? Er korrigierte sich. Es gab fünf Schreibtische und vier Leichen. Eins von ihnen hatte es nach draußen geschafft. Nicht jeder kam um. Vielleicht verrichtete die Besitzerin des Schreibtischs in ebendiesem Moment in einem der Siedlungscamps, Happy Acres oder Sunny Days, irgendwelche Hausarbeiten, füllte in einem der chemischen Klos Toilettenpapier nach, sortierte eingedellte Konservendosen mit Gemüse aus den Vorratskammern aus und trank, was immer die Kundschafter-Teams an regionaler Lieblings-Diät-Cola abgestaubt hatten. Der schwachsinnige Slogan fiel ihm ein – »Wir schaffen das Morgen!« –, und er zuckte zusammen, als er sich vorstellte, wie die Verwaltungsassistentin des Lagers die Buttons verteilte, die dann gehorsam an gesammelte, eine Nummer zu große oder zu kleine Kleidungsstücke angepinnt wurden. Widerstehen. Er musste diesen ganzen Mist aus dem Kopf kriegen, sonst würde es übel für ihn ausgehen. Zur Unterstützung dieses Arguments taxierte er bedrückt die Leichen auf dem Boden.
    »Wir sind gerade noch rechtzeitig gekommen.« Gary zündete sich eine Zigarette an. Am Vortag hatte er aus einer Kneipe eine Stange gesponserte Zigaretten geborgen und seine Sache bislang ganz gut gemacht. Es handelte sich um eine preisgünstige Marke, für die seit dreißig Jahren keine Reklame mehr gemacht wurde; es reichte, dass Eltern und Großeltern ihren Rauch in Kinderbettchen geblasen hatten, und der scharfe Geruch und die kirschrote Packung prägten sich früh ein und erinnerten ihre Aficionados Jahre später an glücklichere, weniger komplizierte Zeiten. »Hat ihn schon auf dem Boden gehabt und wollte ihm gerade an die Nase«, fügte Gary hinzu, in dem Tonfall, den er für Berichte über besonders abenteuerliche oder grausige Arten, wie er Menschen hatte verscheiden sehen – auf diesem Gebiet war er der reinste Almanach –,

Weitere Kostenlose Bücher