Zone One: Roman (German Edition)
oder für die Verhöhnung von Mark Spitz’ sogenannter Überlebenstaktik reserviert hatte. Trotz ihrer Freundschaft hatte der Mechaniker keinerlei Scheu, seine Verblüffung darüber kundzutun, dass Mark Spitz nicht schon in der ersten Woche draufgegangen war, als die großen Scharen Anpassungsunfähiger – zu schlecht gerüstet, um mit der Neuausrichtung des Universums zurechtzukommen – ausgelöscht oder infiziert worden waren.
Gary empfand nicht viel Mitleid mit den Toten alias »Spießern«, »Blödmännern« und »Trotteln«. Die meisten Überlebenden gaben, wenn sie das Wort »tot« verwendeten, dem Zuhörer mittels Betonung und Kontext zu verstehen, ob sie von denen sprachen, die bei der Katastrophe ums Leben gekommen, oder denen, die in Träger der Seuche verwandelt worden waren. Gary machte keinen solchen Unterschied; mit wenigen Ausnahmen waren sie gleichermaßen verabscheuungswürdig. Die Toten hatten ihre Hypotheken pünktlich bedient und die gründlich beworbenen Frühstücksflocken auf den Tisch gestellt, wenn der Nachwuchs im feuersicheren Schlafanzug aus dem Bett sprang. Die Toten hatten mit einer bewundernswerten Durchschnittsnote Examen gemacht, hatten ihre steuerbegünstigten Rentenplanzahlungen gemäß der Weisheit ihrer toten Finanzberater umsichtig gestreut und die Grenzen der guten Schulbezirke im Geist auf Karten ihrer jeweiligen Viertel projiziert, die häufig mit auf der langen Liste standen, wenn Zeitschriften ein Ranking von Städten mit der besten Lebensqualität vornahmen. Kurzum, sie waren von der untergegangenen Welt so gründlich ausgebildet und feingeschliffen worden, dass sie in der neuen zum Untergang verurteilt waren. Gary berührte das nicht. Aus den Schilderungen des Mannes von seinem Vorleben ergab sich für Mark Spitz das Porträt eines von den Zeichen und Systemen bürgerlichen Lebens verwirrten und ausgeschlossenen Außenseiters. Dann kam die Letzte Nacht, die sie alle verwandelte. Bei Gary traten verborgene Talente zutage. Er bildete sich einiges darauf ein, wie mühelos er die neuen Regeln begriffen und gemeistert hatte, als hätte er sein Leben lang auf den Anbeginn der Hölle gewartet. Mark Spitz’ Gabe, in letzter Minute und auf die unwahrscheinlichste Weise davonzukommen, empfand er als persönliche Kränkung.
»Ich habe mich ablenken lassen«, sagte Mark Spitz. Er empfand nicht das Bedürfnis, mehr zu seiner Verteidigung vorzubringen. Er gab sich seine übliche Zwei. Wäre er mit den Angreifern fertiggeworden, wenn Gary nicht rechtzeitig gekommen wäre? Natürlich. Das tat er immer.
Mark Spitz glaubte, dass er Gedanken an die Zukunft erfolgreich verbannt hatte. Er war nicht wie die anderen Angehörigen der Sweepertrupps, wie die Soldaten im Norden der Insel oder die ausgezehrten Sippen in den Camps und Höhlen, all die weit verstreuten Überbleibsel hinter ihren Barrikaden, wo auch immer Leute kämpften und auf Sieg oder Vergessenheit warteten. Der an den Seiten der Welt haftende, schwache Menschheitsrückstand. Niemals hörte man Mark Spitz »Wenn das alles vorbei ist« oder »Sobald sich alles wieder normalisiert hat« oder andere Äußerungen dieser Art von sich geben. Wenn alles erledigt war, tatsächlich und endgültig erledigt, konnte man darüber reden, was man vorhatte. Nachsehen, ob das Haus, in dem man gewohnt hatte, noch stand, ein paar Runden »Wie viele Nachbarn es wohl geschafft haben« spielen. Sich darüber klar werden, wieviel vom eigenen Vorleben noch da war und wieviel man verloren hatte. Eines hatte er gelernt: Wenn man sich nicht darauf konzentrierte, wie man die nächsten fünf Minuten überlebte, dann überlebte man sie auch nicht. Die jüngsten Kursänderungen der Kampagne hatten ihn nicht auf Optimismus umschwenken lassen, sowenig wie die T-Shirts, die Buttons und das neueste vielversprechende System, das Buffalo geschickt hatte. Er schalt sich dafür, dass er, wenn auch nur ganz kurz, einer Träumerei erlegen war. Dieser ganze Phönie-Quatsch hatte ihm den Verstand vernebelt. Doch die Ruhe von Duane Street 135 und eine Vorstellung davon, was werden könnte, hatten ihn einen Fehler begehen lassen.
»Dieser Mann lässt sich ablenken«, nölte Gary.
Kaitlyns Standardvorgehensweise verlangte von ihr, die Hänseleien und Kabbeleien der beiden zu ignorieren. Sie kam zu Mark Spitz herüber und musterte ihn. Sie kniete sich hin und stupste sanft gegen die Unterseite seines Kiefers, die immer noch pochte. Er schüttelte ihre Hand ab. Sie sagte
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