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Zone One: Roman (German Edition)

Zone One: Roman (German Edition)

Titel: Zone One: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colson Whitehead
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ihm, er solle das seinlassen. Er hatte gezittert; er hörte damit auf, sobald sie ihn berührte. Ihre Finger versetzten ihn zurück zu Missgeschicken auf dem Spielplatz – ein Sturz von einer Schaukel, ein verunglückter Sprung von einer Wippe –, bei denen die Lehrerin herbeigeeilt kam, um den Schaden zu untersuchen und sicherzugehen, dass die Schule nicht verklagt wurde. Lehrerinnen – was hatte ihn darauf gebracht? Das Skel auf dem Boden, das Miss Alcott ähnelte. Er holte tief Luft und richtete seine Aufmerksamkeit auf einen dunklen Klotz unterhalb des Fensters: ein Gebäude, das gesäubert worden war oder noch gesäubert werden musste, voller Gestalten, die sich im Dunkeln bewegten oder eben nicht bewegten. Dieses unentwegte Entweder-oder. Kaitlyn untersuchte seine Haut auf Verletzungen. Er wartete.
    Schließlich nickte sie und griff in ihre Brusttasche, um ein Pflaster hervorzuholen. Ein winziger Kratzer würde der Seuche keine Einfallspforte liefern, aber die Verhältnisse in der Zone gaben Kaitlyn einen Freibrief dafür, sich über die alten Feld-Wald-und-Wiesen-Keime und -Infektionen zu sorgen. Auf dem Heftpflaster grinste manisch das vertraute Gesicht des populären Cartoon-Gürteltiers. »So.«
    Gary öffnete die Jalousien etwas weiter, und graue Teilchen wirbelten durch die Luft. Der Pulverrauch war Parfüm, das den Gestank der Toten überdeckte, und die verträumt in der Luft schwebende Schicht beruhigte Mark Spitz. Diese Aspekte des Alltäglichen, die schlichte Physik der Welt, bedeuteten stets, dass das jüngste Gefecht vorbei war. Bis zum nächsten Ausbruch war man sicher.
    »Kein Anzeichen dafür, dass sie hier drin waren?«, fragte Kaitlyn.
    Eine Sekunde lang zweifelte er an sich, dann verneinte er. Er hatte sich dumm angestellt und sich Tagträumen hingegeben, aber so nachlässig war er nicht gewesen. Man wurde selten von einer Gruppe von ihnen überrascht, die so eingepfercht war – ein vor die Tür eines Besprechungszimmers geschobener Verhau aus Aktenschränken oder ein vor die Küchentür genagelter, kaputter Tisch waren eine Warnung. Kleinigkeiten wie diese. Heutzutage war eine Barrikade wie ein Willkommensgruß: man wusste, was für ein Empfang einem bevorstand. Es war keine Barriere dagewesen.
    Er stieg über das Marge hinweg und untersuchte das Schloss. Er hatte nicht bemerkt, dass es zertrümmert war, als er die Tür eingetreten hatte. Irgendein schneller Denker hatte es kaputtgemacht, nachdem er die vier eingeschlossen hatte. Die Toten konnten einen Türknauf drehen, einen Lichtschalter betätigen – die Seuche löschte nicht das Muskelgedächtnis. Die Kognition allerdings war ausgeschaltet, sobald die Seuche die Daten des Ich überschrieben hatte. Jahrelang hatte das kaputte Schloss diese Kreaturen mattgesetzt. Sie waren gegeneinandergeprallt und um den Schreibtisch, die Stühle und Aktenschränke geschlingert, hatten, während sie immer stärker abmagerten, Perücken, Ringe und Armbanduhren verloren. Waren über ihre Accessoires gestolpert und wie die mechanischen Gebilde, zu denen sie geworden waren, wieder aufgestanden.
    Kaitlyn zückte ihr Notizbuch. »Ich will dir nicht an den Karren fahren.«
    »Nur für den Ereignisbericht«, sagte Mark Spitz.
    »Hauptsache, der Papierkram stimmt«, sagte Gary.
    »Wie alt ist sie, fünfzig?«, fragte Kaitlyn und musterte, während sie schrieb, die Personalerin. »Fünfundfünfzig? Kannst du mal nach Ausweispapieren suchen, Gary?«
    Die Anweisungen über das Sammeln von Informationen waren, eine Woche nachdem man sie auf der Insel stationiert hatte, aus Buffalo gekommen. Die zehn Sweepereinheiten wurden in einem Jiaozi-Laden zusammengepfercht, dem Restaurant, das sich der Lieutenant für seine Einsatzbesprechungen ausgeguckt hatte. Sämtliche Befehlshaber hatten für Einsatzbesprechungen und Strategieberatungen Domänen in Chinatown annektiert und machten sich je nach ihren unterschiedlichen Gelüsten von der Wonton Main, Ecke Broadway und Canal, aus breit. General Summers beispielsweise belegte einen eleganten, höhlenartigen Dim-Sum-Palast in der Bowery mit Beschlag, den sie vor den Belustigungen der niedrigen Ränge retteten. Monatelang war das Restaurant als Dragracing-Rennbahn benutzt worden, wo die Dim-Sum-Wägelchen über das Linoleum sausten. Die Freitagabende wurden ziemlich öde, als Summers den Wettrennen ein Ende machte, bis die Marines ihre Arena zur Rollschuhbahn verlegten. (Mark Spitz begegnete der riesigen Diskokugel der

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