Zone One: Roman (German Edition)
überschwemmten das Grundstück und strömten von der Veranda aus in das große Zimmer »wie Hochzeitsgäste, die sich nach der Trauung auf Cocktails stürzen«. Abel musste sie mit der Verheißung eines Festmahls den Hügel heraufgelockt haben. Das Haus war verloren. »Das übliche Tohuwabohu«, sagte Mim. Sie wurde von allen anderen getrennt, schaffte es aber, sich zu einer Notfallausrüstung durchzuschlagen, die sie in weiser Voraussicht an der hinteren Grundstücksmauer versteckt hatte. »Gewöhn dich ein, soviel du willst«, sagte Mim. »Übernimm Arbeiten und gieß die Tomaten. Aber du musst irgendwo einen Notfallrucksack verstecken, denn irgendwann kracht alles zusammen.«
Er mochte sie ungemein, trotz ihres Glaubens an Buffalo. Sie waren Schall und Rauch: die große Siedlung hinter der nächsten Erhebung, der zwei Tagesmärsche entfernte Militärstützpunkt, die utopische Kommune am anderen Ufer des Flusses. Der Ort existierte gar nicht oder war, wenn man dort ankam, längst überrannt, Leichengestank und schwelende Feuer. Oder es waren Spinner, die sich eine verrückte neue Gesellschaft ausgedacht hatten, mit einer faschistischen Verfassung oder bescheuerten Regeln wie etwa der, dass alle Frauen mit den Männern schlafen mussten, um für menschlichen Nachwuchs zu sorgen. Oder irgendeinem anderen gruseligen Geheimnis, das man erst entdeckte, wenn man schon ein paar Tage da war, und wenn man dann abhauen wollte, stellte man fest, dass sie einem die Waffen versteckt und die Brühwürfel geklaut hatten. Mark Spitz hatte es im Augenblick nicht mit Gruppen, aber wenn der richtige Haufen des Weges kam, würde er es mit Mims Lösung halten: immer irgendwo eine Notfallausrüstung verstecken.
Mark Spitz war bereit, nur die Batterien zu nehmen, die Mim nicht haben wollte, aber sie bestand darauf, dass gerecht geteilt wurde. »Ich kann das alles sowieso nicht tragen, das ist doch albern. Bedien dich.« Er hatte sich seinen Rucksack gefüllt, als er Mim fluchen hörte.
Sie stand am Fenster. »Schlechtes Wetter«, sagte sie. Er dachte, es habe zu schneien begonnen; er hatte den bevorstehenden Schnee seit dem Morgen gerochen. Dann trat er an ihrer Stelle ans Glas und sah die Main Street. Er duckte sich. Ob die Hintertür verschlossen sei? Ja. Er und Mim krochen hinter die Gangreihen mit Kleinkind-Sachen, den falschen Babys, quiekenden Teddys, dem Sortiment billiger Plastikformen. Es war der größte Totenstrom, den er seit Monaten gesehen hatte, eine makabre Parade, die, von Bürgersteig zu Bürgersteig reichend, hinter einem unsichtbaren, infernalischen Rattenfänger herlief. Jahrestreffen, Geburtstag des Gründers, Kriegsende. Feierten Kleinstädte noch immer Soldaten, die es von der Front nach Hause zurückschafften? Huldigten dem Wunder, die Prüfung überstanden zu haben? Die Festlichkeiten zu Ehren des Sieges über die Seuche, des Waffenstillstands mit dem Chaos, würden es mit dem Schauspiel da draußen nicht aufnehmen können. Es würden nicht mehr genügend Leute übrig sein, um ein Transparent zu halten. Er schüttelte den Kopf. Scheiß Connecticut.
Die nekrotischen Massen marschierten an den Schaufenstern des Spielwarenladens vorbei. Eine übelkeiterregende Prozession. Mark Spitz und seine neue Begleiterin begaben sich ins Lager. Vielleicht fügte das Wetter die Toten zu einer derart großen Gruppe zusammen, nutzte irgendwelche Synapsen in ihren schwammigen, verwirrten Gehirnen zu einem neuen Zweck und zwang sie, vor dem Wind, dem über die Meeresküste fegenden Schneesturm Schutz zu suchen. Irgendwelche Unglücklichen würden herausfinden, wo die Totenarmee wartete, bis das schlechte Wetter vorbei war. Er nicht. Mark Spitz und Mim verharrten im hinteren Teil des Ladens. Als die Toten schließlich verschwanden, blieben die großen, flauschigen Flocken auf der Straße und dem Bürgersteig liegen. In den verlorenen Tagen, in denen die Rohre noch Wasser hergegeben und Elektronen die mannigfachen Kabel gefüllt hatten, war es dank der Umgebungswärme nicht zu derart schnellen Anhäufungen gekommen. Jetzt türmte sich der Schnee rasch auf der abgetöteten Erde.
Mit der Letzten Nacht warteten sie noch. Dass er ihr den »Nachruf« erzählen würde, wusste er, als sie die Hintertür öffnete und aus der Düsternis auftauchte. Er stellte sich eine Bevölkerung vor, in der Totenschädelgesichter menschliche Gesichter abgelöst hatten, straff gespannte Haut über Knochen, starrer, mitleidloser Blick, gebleckte
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