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Zone One: Roman (German Edition)

Zone One: Roman (German Edition)

Titel: Zone One: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colson Whitehead
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Schneidezähne. Die hartnäckige Gewöhnlichkeit ihrer sanften Augen und ihres runden, lebhaften Gesichts waren ein Souvenir. Das fest um den Kopf geknotete Tuch symbolisierte Wochenendarbeiten: Eicheln und Zweige aus der überlaufenden Regenrinne herauspflücken, den schwarzen Belag vom vergangenen Sommer vom Grill abkratzen. Die alten Riten. Sie war wie er, eine von den Unwahrscheinlichen, die sich durchboxte. Normal.
    Anstelle von Letzte-Nacht-Geschichten frönten sie dem »Wo bist du her?«, das in aller Regel mehr positive Treffer zeitigte als vor der Seuche, jedenfalls kam es Mark Spitz so vor. Als wäre allen Überlebenden eine heimliche Verbindung gemeinsam, die sich da und dort im Laufe ihres Lebens hergestellt hatte, damit dieses Ereignis nun eintreten konnte. Vielleicht war es aber auch so, dass er sich jetzt, in der Unverbundenheit seiner Tage, lediglich leicht vom Zufall beeindrucken ließ. »Ach, du bist aus Wilkes Barre? Kennst du Gabe Edelman?« »Wirklich? Ist ja witzig, wir haben uns mal bei einer Verkaufstagung in Akron kennengelernt.« Sein Leben überschnitt sich mit dem des Dentistenduos, des quirligen Lkw-Fahrers, des Schadenssachverständigen und der anderen aus der traurig dreinschauenden Schar, und es spielte keine Rolle, dass das alles sinnlos war. »Die muss seither in der Reha gewesen sein, weil sie damals ganz anders war.« Es war eine Séance, die den Schleier des Jenseits durchdringen sollte. Das körperlose Klopfen von Geistern erhellte eine Zeitlang ihre jeweiligen dunklen Ecken. »Da war ich mal, habe in einem Café gegessen, wo es den besten Apfelkuchen gab. Kennst du das? Genau, das ist es.« »Mein Cousin ist da hingezogen. Aber er ist viel älter, ich glaube nicht, dass du ihm über den Weg gelaufen bist.« Die Assoziationen verkürzten die Zeit bis zum Morgen, wenn jeder seiner Wege ging. Manchmal auch nicht. Manchmal fanden die Toten sie in der Nacht.
    Er blieb bei ihr und war schon vor Einbruch der Dämmerung halb in sie verliebt. Bei ihnen gab es keine Überschneidungen, obwohl sie irgendwann feststellten, dass sie beide dieselben Fernsehsendungen gemocht hatten. Aber damals liebte jeder dieselben Sendungen, und die populäre Kultur war nicht das Gleiche wie Menschen und Orte. Er konnte nicht umhin zu glauben, dass die unverwüstlichen Sitcoms und Polizeiserien noch irgendwo auf dem Planeten gesendet wurden und im ewigen Dämmer die Lachkonserven und Crescendi vor den Werbepausen losdröhnten und drauflosrumpelten. Die Sendungen waren so unentrinnbar gewesen, dass sie längst keinen elektrischen Strom mehr erforderten. Allermindestens im unterirdischen Hobbyraum irgendeines Überlebenskünstlers oder einer staatlichen Einrichtung (Buffalo war noch nicht in Erscheinung getreten) entfaltete sich auf den Bildschirmen Staffel eins bis sieben der in ihrem Realismus bahnbrechenden Krankenhausserie und die mit Extras gefüllte Sonderedition der über jede Kritik erhabenen Comedy aus der Arbeitswelt. Währenddessen erwogen die Zuschauer, die leckeren Sachen hervorzuholen, die Käsebällchen, die sie sich für einen besonderen Anlass aufgehoben hatten. Sie rissen das Zellophan auf: besondere Anlässe gab es keine mehr. Die Werbespots waren die neuen Werbespots, stellte er sich dunkel vor, für leichte Benzinkanister (»Wenn es bei der Verbrennung von Toten mal schnell gehen muss«) und Anticiprant (»Vier von fünf nichtinfizierten Ärzten sind sich einig: Noch immer das einzige Antibiotikum, das wirkt!«). Diese Werbespots übersprang man nicht mit der Vorspultaste. Es handelte sich um wesentliche Konsumartikel.
    Er und Mim hatten niemanden gemeinsam, das Einzige, was sie verband, war die Katastrophe. Sie waren beide deren Flöhe. »Ich bin bloß eine Mutter«, sagte sie und vertat sich mit der Zeitform. In jener ersten Nacht rissen sie eine Schachtel mit Geburtstagskerzen auf, die keine Wärme lieferten, aber die Vorstellung von Feuer wärmte sie. Mark Spitz blockierte den Luftzug von der Hintertür mit einer Reihe von Plüschgürteltieren und anderen aus der Truppe des Gürteltiers. Mim fing an.
    Sie kam aus Paterson, der Heimatstadt ihres Mannes. Sie waren dorthin gezogen, sobald sie schwanger wurde. Mims Eltern kreisten nur narzisstisch um sich selbst und waren nicht zu gebrauchen, aber Harrys Mutter war zuverlässig und hatte viel Zeit zur Verfügung, seit sie nicht mehr arbeitete. Mim gewann die Stadt lieb. Über das örtliche Beratungszentrum für Eltern lernte sie online

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