Zone One: Roman (German Edition)
über eine sichere Verbindung ihre Kontaktdaten. Er war gehalten, die Gutscheine mehrmals am Tag anzubieten. Sie waren strenggenommen ein kleiner Schwindel, wenn man die verlorengegangenen Gutscheine, die Gültigkeitsdauer und die da und dort übrigbleibenden und niemals verbrauchten dreißig Cent mit einrechnete.
Sein Vorgesetzter, der, wie sich herausstellte, grundsätzlich Tee, noch dazu entkoffeinierten, trank, ermutigte ihn, für die Social Media eine individuelle Persönlichkeit zu pflegen. Keine Kraftausdrücke, keine Politik, benutzen Sie Ihren gesunden Menschenverstand etc., führte die E-Mail aus. Der Kunstgriff fiel ihm leicht, wie sich herausstellte, denn er hatte eine natürliche Begabung für Ersatzbeziehungen und die Posen falscher Empathie. Er war hilfsbereit (»Eine Prise Zimt gibt dem Ganzen die besondere Note«), verteilte passiv-aggressive Ermahnungen (»Warum zur Konkurrenz gehen, wenn wir uns schon in aller Hergottsfrühe bemühen, Sie glücklich zu machen?«) und schreckte auch vor dem Schmerzmittel nicht zurück (»Bringt eine schöne Tasse Kaffee die Welt nicht wieder zum Leben?«). Ohne diese menschliche Note, sagte man ihm, könnte man genauso gut den rudimentären KI -Algorithmus anbieten, den die Nerd-Praktikanten zusammengebastelt hatten und von dem jeder wusste, dass er ein Reinfall war, schon bevor die Batterie der Fokusgruppen ihren Senf dazugab. Keine Seele.
Zwei Monate nachdem er angefangen hatte, war die Anzahl der Zugriffe auf die Webseite der Firma um fünf Prozent gestiegen. Ob das an Mark Spitz’ Nachahmung von Einfühlsamkeit oder an der Markteinführung des neuen Partnerprogramms lag, war unklar, aber er bekam eine ziemlich nette E-Mail von der Vorgesetzten seines Vorgesetzten, der Frau, die seinen Job nach gründlichem Nachdenken auf der jährlichen Klausurtagung erfunden hatte, zusammen mit dem Versprechen, dass seine gute Arbeit bei der nächsten vierteljährlichen Überprüfung Anerkennung finden würde, eine Anerkennung, die in Wirklichkeit noch zwei Quartale auf sich warten lassen würde, da er sich genaugenommen noch in der Probezeit befand.
Es war nicht der mieseste Job, den er je gehabt hatte. Er arbeitete noch dort, als die Letzte Nacht hereinbrach, und kritzelte nachts im Hobbyraum in seinen Übungsheften für die Vorbereitung zum Juraexamen. Die New Yorker Zentrale der Kaffeefirma lag in Chelsea, etwa zweieinhalb Kilometer jenseits der Mauer. Er konnte nur darüber spekulieren, wer es aus dem Gebäude geschafft hatte und wer noch auf den Fluren umherstreifte. Wahrscheinlich stach seine Internet-Persönlichkeit noch immer die Uhr, plauderte mit der leeren Luft, ließ die Rechtschreibprüfung über Texte von falscher Freundlichkeit laufen und drückte auf Abschicken. »Nichts hilft besser gegen den Bin-gerade-ausgeblutet-Blues als ein Schnurrbart aus Schaum, mE.« »Blöd, dass die Leichenverbrennung so früh am Morgen stattfindet – warum holst du dir nicht einen Sumatra, damit du wachbleiben kannst, wenn du deine Oma auf den Scheiterhaufen wirfst? Das wollte ich auf keinen Fall verpennen, LOL !«
Wie das Schicksal es wollte, schaute Mark Spitz die Reade Street entlang und erspähte zwei Häuserblocks voraus das charakteristische, sofort beruhigende Schild des Restaurants. Er war schon fast in Wonton. Sein Magen flatterte. Im Kopf hörte er die stürmische Gemeinderatssitzung, auf der sich die Bewohner über die bevorstehende Eröffnung beschwerten. Nicht in meinem Hinterhof, es macht die ganze Nachbarschaft kaputt. Bistros und gastronomische Dingsdas der nächsten Ebene servierten Tribecas bevorzugten Fraß, keine vulgären Kettenrestaurants. Nein, dachte Mark Spitz. Dieses Restaurant gehörte überallhin. Außer Reichweite seiner Gerichte zu leben war eine Tragödie. Eine angesichts der vielen, günstig gelegenen Standorte leicht zu vermeidende Tragödie, wie sich herausstellte.
Er hatte Zeit. Er durchtrennte den Riegel und schob das Metallgitter hoch. Je nach dem Zustand des Hinterausgangs war er der erste nichtinfizierte Mensch, der seit der grausigen Umarmung der Letzten Nacht dort hineinkam. Es gab jede Menge anderer, leichter zu plündernder Orte. Sammeltrupps räumten zuerst die Supermärkte, Lebensmittelläden und Bodegas, dann die Restaurants aus, aber angesichts der Skel-Konzentration vor dem Eintreffen der Marines gelangte die Wissenschaft des gehobenen Fouragierens in der Stadt nie zu voller Blüte. Die Stadt gehörte den Toten. Mark Spitz hatte
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