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Zone One: Roman (German Edition)

Zone One: Roman (German Edition)

Titel: Zone One: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colson Whitehead
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kein Verlangen nach Kartoffelpulver und Buffalo-Sauce-Dosen in Gastronomiegröße, aber sie waren zweifellos dahinten in den Kühlschränken, neben den verfaulten Ahornsirup-Apfel-Würstchen und Lachs-Pastetchen, die in den stummen Fabriken in Form gedrückt und verpackt worden waren.
    Er horchte auf das scharrende, dumpfe Aktivwerden der Toten angesichts seiner Geräusche: nichts. Er ließ den Strahl seiner Helmlampe über Stellen gleiten, wo das Tageslicht nicht hinreichte, suchte die Messingstangen ab, die um die familiengroßen Nischen herumliefen, das tiefdunkle Holz der Bar mit seinen von Ellbogen abgeriebenen Lackschichten. Er suchte das Schachbrettmuster der Bodenfliesen danach ab, ob irgendeine Kreatur auf ihrem Schlafplatz unter einem Tisch ihre Gliedmaßen entwirrte. Rot-weiße Karos bildeten einen originalgetreuen Rand auf Speisekarten und Schildern sowie auf der Kluft der Bedienungen, die im Augenblick Gott sei Dank nicht zu sehen waren, umhüllten irgendein hinkebeiniges Wrack, das mit einem »Was darf ich Ihnen bringen?«-Glotzen Teller aus der Küche trug. Die Kluft hatte Kellner und Kellnerinnen zu Schiedsrichtern gemacht, die obskure Wettkämpfe in puncto Essen entschieden. An den Flatrate-Shrimp-Dienstagen ging es ziemlich ruppig zu. Sein Vater geriet einmal in einen handgreiflichen Streit darüber, wem ein letzter Löffel voll Oriental Shrimp zustand, der in einem Bad aus orangefarbener Gelatine wabbelte. Der Vorfall wurde bei ihnen zu Hause zum Dauerwitz, der immer dann herhalten musste, wenn sie sich zu einem Gang ins örtliche Franchise fertig machten. »Heute hab ich Lust, jemandem die Schnauze zu polieren«, sagte sein Vater, Ausgangspunkt für einen Schwall von Pseudo-Kraftmeiereien, die Mark Spitz verrieten, wo sie an diesem Abend aßen.
    Eine Saison nach der anderen war das Restaurant das Stammlokal seiner Familie für spontane Besuche, Geburtstags- und sonstige Feiern. Als Kind war er in die Nische gekraxelt und hatte sich hinter der riesigen Speisekarte versteckt, bis er das erste »Hallo, mein Name ist« der jeweiligen Bedienung hörte, woraufhin er versuchte, sich anhand ihrer oder seiner Stimme vorzustellen, wie er oder sie aussah. Die Kellner hatten längere Schnurrbärte, als er sich ausgemalt hatte, die Kellnerinnen größere Brüste. Jedenfalls bis er in die Pubertät kam. Auf ihrer jeweiligen Umlaufbahn zogen Nachbildungen goldener und Platinschallplatten, Titelseiten von Extrablättern und Sporttrophäen über die Wände. Er kannte keinen der Prominenten, der historischen Ereignisse, Bands oder Mannschaften, der Hintergrundgeschichten der großen Endspiele und Namen der Pop-Hits. Aber irgendetwas mussten sie bedeuten, wenn sie da an den Wänden hingen. Warum sollten sie sonst da sein? Er war vollkommen geknickt, als er zum ersten Mal in einer anderen Filiale aß und das gleiche Zeug an den Wänden sah. Seine Bekanntschaft mit der Nostalgie-Branche. Andenkenfabriken in Übersee produzierten diese Artefakte mit billigen, rechtlosen Arbeitskräften, erklärte ihm später seine Babysitterin. Sie war Studentin im ersten Jahr, und ihr waren zum ersten Mal die Augen aufgegangen. Die einzelnen Betreiber konnten sich ihre Erinnerungsstücke aussuchen, aber die Bestelllisten umfassten nur soundso viele Kästchen. Überschneidungen waren unvermeidlich; sie waren in das Verfahren eingebaut. Er hatte die signierten Baseball-Bälle und an der Wand befestigten Gitarren für Originale gehalten, und es hatte ihn auf seltsame Weise ermutigt, dass er im Lokal eines Weltenbummlers aß, eines Kuriositätensammlers, der Abenteuer erlebt hatte. In dem Sommer, bevor er aufs College ging, hatte er in der Zeitung gelesen, dass der örtliche Franchisenehmer wegen Unterschlagung ins Gefängnis gewandert war. Ein Liebesnest, auf eine Amateur-Pornoseite hochgeladene Bilder. Der Cousin des Mannes übernahm das Geschäft, und als Mark Spitz in der Winterpause nach Hause kam, war es, als wäre nichts geschehen. Das Restaurant wurstelte weiter.
    Klassische Rockmusik hatte sie jedes Mal begrüßt, sich gegen das Geplapper über eingehaltene und ignorierte Deadlines durchsetzen müssen, gegen beunruhigende Geständnisse, die Zusammenfassung der Paartherapie dieses Nachmittags, Maschinenlärm. Manchmal drängten sich neuere Künstler in das Pantheon, zusammen mit gewagten Artikeln; gegen Mitternacht gelangte der Laden als Aufreißerschuppen zu voller, herber Blüte, und das an der Bar zusammengequetschte Panoptikum

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