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Zone One: Roman (German Edition)

Zone One: Roman (German Edition)

Titel: Zone One: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colson Whitehead
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und damals auch nur, weil Richie mit einer Magengeschichte ausfiel. Das war das Problem mit dem Fortschritt – er machte einen unachtsam. Die Toten schoben und quetschten sich zwischen den Fahrzeugen hindurch, dem grünen Kabrio mit dem zerschlitzten Vinylverdeck und dem Kleinbus des Klempners. Als Richie ihm aus der Schusslinie ging, machte sich Mark Spitz daran, die Kreaturen zu erschießen, erledigte ein Skel, das einen blutigen OP -Kittel trug – unmöglich festzustellen, ob es ihn sich im oder außer Dienst so eingesaut hatte –, und ein städtisches Cowgirl, dessen strassbesetzte Bluse im Sonnenlicht kühl funkelte. Er zerstörte ihre Gesichter und alles, was dahinter war, aber sein Team würde auf keinen Fall alle erwischen. Die Abschlepper konnten die Größe der Horde nicht beziffern.
    »Durch den Haufen kommen wir nicht durch«, sagte Quiet Storm. Sie blieben besonnen. Sie nahmen eine Abschätzung vor. Der Sheriff und seine Leute hatten ihren kleinen Flecken Himmel äußerst wirkungsvoll abgeschirmt; nicht einmal auf dem Geländer konnten sich die Abschlepper an dem Stacheldraht vorbeidrücken.
    »Sieht tief genug aus«, sagte Richie, bevor er von der Brücke ins Wasser sprang.
    Der Höhenunterschied betrug etwa sieben Meter. Richies Kopf tauchte zehn Meter flussabwärts wieder auf. Er winkte sie zu sich ins Wasser. Quiet Storm fuhr sich mit den Fingern durch die Stoppeln auf ihrer Kopfhaut, ließ einen Schwall von Schimpfwörtern vom Stapel und folgte seinem Beispiel.
    Es war unmöglich. Mark Spitz zählte die zusammenströmenden Toten. Die verlorenen Gestalten wateten dumpf und stinkend zwischen den Autos hindurch, tasteten sich auf ihr Nahrungsangebot zu, das vor ihrem leeren Geist schon um zwei Drittel geschrumpft war. Sie waren zu hirnlos, dachte er, um davon enttäuscht zu sein, dass sie nach ihrer endlosen Gefangenschaft in dem Anhänger die paar Brocken, die ihn ausmachten, miteinander teilen mussten. Unmöglich, dass er an ihnen vorbeikam. Es waren zu viele. Du bist in diese Situation hineingeraten. Eine schlichte Berechnung ohne Scham.
    Richie rief etwas vom Ufer aus. Die Schüsse mussten die anderen drei Abschlepper alarmiert haben; sie würden bald Unterstützung bekommen. Instinkt hätte Mark Spitz längst von der Brücke pflücken und in die Strömung befördern müssen. Aber er rührte sich nicht.
    Als er ihnen später sagte, dass er nicht schwimmen konnte, lachten sie. Es passte genau: Von nun an war er Mark Spitz. Aber er hatte keine Angst vor dem Wasser, nicht angesichts seiner verlässlichen Kameraden dort unten und seiner ungetrübten Aura von Glück. Ein paar Züge konnte er. Nein: Er sprang auf die Haube des neuen Retro-Kombis und fing an zu schießen, schaltete zuerst den großmütterlichen Typ im Trainingsanzug und dann den Teenager mit dem verdreckten Fußballtrikot aus, weil er wusste, er konnte nicht sterben. Er flankte auf die schwarze Limousine neben ihm und zerschoss die Schädel zweier weiterer Skels, die zu Boden gingen und von denen aus der zweiten Reihe niedergetrampelt wurden. Er hatte Vermutungen, und jeder Tag in diesem Ödland lieferte weitere Beweise: Er konnte nicht sterben. Das war jetzt seine Welt in all ihrer grandiosen Schäbigkeit, wo Intellekt, Einfallsreichtum und Talent ebenso bedeutungslos waren wie Sturheit, Feigheit und Dummheit. Er schoss den, der die Pilotenbrille mit den grünen Gläsern trug, mitten in die Stirn und schoss die Kreatur in der Jagdweste zweimal in die Brust, bevor er sie mit einem letzten Schuss erledigte. Er konnte nicht sterben. Zwei weitere Kreaturen fielen mit zerplatztem Schädel auf den Asphalt. Schönheit konnte nicht gedeihen, und das Schreckliche war zu alltäglich, um von Bedeutung zu sein. Nur in der Mitte war Sicherheit.
    Er war ein mittelmäßiger Mensch. Er hatte ein mittelmäßiges Leben geführt, das nur im Ausmaß seiner Gewöhnlichkeit außergewöhnlich gewesen war. Jetzt war die ganze Welt mittelmäßig, und das machte ihn vollkommen. Er fragte sich: Wie kann ich sterben? Ich war schon immer so. Jetzt bin ich noch mehr ich. Er hatte genügend Munition. Er erledigte sie alle.
    Tristes Tribeca. Mark Spitz hielt sich westlich bei seinem Gang uptown, und als er an der Eckbar vorbeikam, wo er sich einmal nach der Arbeit mit Jennifer auf ein paar Drinks getroffen hatte, gestand er sich ein, dass womöglich sein Unterbewusstsein seine Schritte lenkte. Um zehn Uhr holten die Rausschmeißer das Samtseil heraus und begannen,

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