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Zopfi, Emil

Zopfi, Emil

Titel: Zopfi, Emil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Spitzeltango
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Afrikaner in grünen Overalls fegten missmutig das nasse Laub der Platanen zusammen. Er stieg die Treppenstufen zum Brunnen mit dem Kalksteinquader hinauf. Hier war ein Text von Max Frisch eingemeisselt. Mit der Hand fuhr er über den rauen Stein, die Schrift war kaum noch zu lesen. Robert hatte das Bild dieses Denkmals oft seinen Studenten gezeigt. Auf seinen Diapositiven fehlte der Chromstahlzylinder des Abfallkübels mit dem Haifischmaul, wie sie nun überall in der Stadt herumstanden.
    dieser stein, der
    stumm ist, wurde
    errichtet zur zeit
    des krieges in
    VIETNAM
    In seinem Seminar hatte er jeweils über Frischs politisches Engagement referiert, seine kritische Haltung gegenüber der imperialistischen Politik der usa. Sein Zwiespalt. Die anfängliche Bewunderung für die Lebensart, den Optimismus und Fortschrittsglauben der Amerikaner. Homo Faber. Später zunehmende Kritik an der Politik, Nixon, Reagan. Resignation schliesslich. Eine Alternative zur amerikanischen Gesellschaft sei für Amerikaner nicht denkbar, daher ein politisches Gespräch nicht möglich, schrieb Frisch in seinem letzten Tagebuch. Er fühlte sich entwurzelt, wenn er auf der Feuerleiter seines Lofts in New York sass und seine Pfeife rauchte. Der Architekt Frisch, unbehaust in der Welt, auf der unablässigen Suche nach Heimat. So etwas stand auch in seinem Vortrag.
    Robert schritt um den Steinquader herum, versteinerte Erinnerungen. Gegen den Vietnamkrieg hatten sie demonstriert, gegen die Diktatur in Griechenland, gegen den tyrannischen Schah von Persien, eine Marionette der Amerikaner. Gegen die imperialistische Politik der usa in aller Welt. Gegen die Waffenlieferungen der Schweiz an die chilenische Armee. Gegen den Mord am Staatspräsidenten Salvador Allende während des faschistischen Putschs. Obwohl man heute wusste: er hatte sich selber erschossen, bevor er in die Hände der Putschisten Pinochets fiel. Den berühmtesten Sänger und Poeten Chiles hatten Pinochets Schergen im Stadion von Santiago ermordet, nachdem sie ihm die Finger gebrochen hatten, damit er nicht mehr Gitarre spielen konnte. In diesem Augenblick war sein Name wieder da: Victor Jara. Er war Kommunist gewesen, ein Freund Allendes.
    Ich gehe, gehe ,
    ich suche die Freiheit .
    Robert sah auf die Uhr. Das Symposium hatte begonnen, man würde ihn vermissen, aber es konnte ja sein, dass ein Referent aus dem Ausland später eintraf. Ein Amerikaner, Professor Brown aus Iowa City. Wo war das überhaupt, dieses Kaff? Beyond nowhere im Mittleren Westen. Er hatte sich den Veranstaltern nicht als Schweizer zu erkennen gegeben. Ich bin nicht Stiller, ich bin nicht Brönimann. Ich bin Brown. Er spielte mit literarischen Motiven Frischs, womöglich auch mit jenem des alten Herrn und der jungen Frau, als er mit Ariane durch die nächtliche Stadt spaziert war. Er erinnerte sich nicht, was er ihr erzählt hatte, was er preisgegeben hatte von seiner Geschichte. Vielleicht hatten sie nur über Martin Kunz gesprochen. Er erinnerte sich auch nicht mehr, dass er etwas über sie, über ihr Leben oder ihr Verhältnis zu Martin erfahren hatte.
    Am Rindermarkt fand er einen Second-Hand-Laden mit Kleidern. Hinter der Theke sass eine junge Frau, vertieft in ein Buch. Milan Kundera. «Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins». Sie blickte nur kurz auf, als er eintrat und die Ladenglocke erklang. Er fand einen grauen Regenmantel mit Achselpatten und Kapuze. Die junge Frau kassierte stumm, die unerträgliche Leichtigkeit war ihr nicht ins Gesicht geschrieben.
    Er ging weiter durch die Altstadt, blieb vor einem Buchladen stehen, bunte Comicbände im Fenster. Es dauerte eine Weile, bis ihm bewusst wurde, dass es das ehemalige Geschäft des kommunistischen Buchhändlers Theo Pinkus war. Bei Pinkus hatte man sich getroffen, diskutiert, sich mit politischer Literatur eingedeckt. Manchmal auch den Alten getroffen, der mit weisser Mähne, festen Überzeugungen und einem Rucksack voller Zeitschriften an jeder Veranstaltung auftauchte. Ein Messias der Linken. Nun waren Comics aus aller Welt eingezogen, Marx, Lenin und Robert Brönimann standen vor der Tür. Er brauchte dringend einen Kaffee, er fror noch immer, trotz des Mantels.

    Auf dem Gehsteig vor dem Eingang zum Volkshaus standen ein paar Leute und rauchten. Das eine oder andere Gesicht kam Pippo bekannt vor, aber so war das immer. Als Tramführer glaubte man mit der Zeit, jede Nase in der Stadt zu kennen. Einige grüssten, an Namen konnte er sich nicht

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