Zopfi, Emil
Kissen fallen. Der faulige Geschmack im Mund erinnerte ihn an die Zeit, als er in der Galvanisierabteilung bei Zahnräder Maag gearbeitet hatte. Basisarbeit, hiess das. Nach zwei Monaten hatte er den Job geschmissen, ohne einen einzigen Arbeiter für die Revolution gewonnen zu haben. Was hätte es geändert? Heute gab es keine Arbeiter mehr, Zahnräder wurden in China gefräst, und aus der Zahnradfabrik war eine Event-Hall geworden, wo Konzerte, Hochzeiten und Ausstellungen stattfanden. An die Revolution erinnerte noch eine Balletttruppe, die dort auftrat und sich Revolución nannte, wie er mal auf einem Plakat gelesen hatte.
Es klingelte. «Völker, höret die Signale», lallte er mit schwerer Zunge. Es war bestimmt Irina, die Nervensäge, oder die Frau vom Amt, die sich um die Hygiene der Nutten kümmerte.
Er taumelte in die Küche, hielt eine Hand unter den Hahn, rieb sich das Gesicht frisch, trocknete es mit dem Geschirrtuch. Das Signal der Klingel rief zum letzten Gefecht … vielleicht war es Carmen, die grösste Tanguera aller Zeiten oder jedenfalls seines Herzen. Vor der Tür standen zwei Herren in Anzug und Krawatte. Einer mit nach hinten geklebten Haaren, der andere ein Kahlkopf mit Ohrring und dicker Uhr. Definitiv keine Bullen, eher Zuhälter. Oder Zeugen Jehovas.
«Herr Amberg?»
Hermann tippte mit dem Finger auf das Schild über der Klingel.
«Dürfen wir hereinkommen?» Sie nannten Namen, aber Hermann konnte sie sich nicht merken.
«Ich brauche nichts. Falls Sie mir etwas verkaufen wollen. Und ich glaube auch nicht an Gott den Allmächtigen und das Paradies.»
«Paradies?» Der mit dem Gel im Haar lächelte. «Das könnte für Sie Wirklichkeit werden.»
«Von welcher Sekte sind Sie?»
«Das zeigen wir Ihnen gerne schwarz auf weiss.» Er hob seinen Aktenkoffer am Daumen in die Höhe. Der Kahle nickte bedeutungsvoll. Hermann sah ihn an. «Haben wir uns schon mal irgendwo gesehen?»
«Nicht das ich wüsste.»
«Vielleicht heute Nachmittag beim Volkshaus?»
Er hob die Schultern. «Mag sein, dass ich da vorbeigekommen bin.»
Der Gelierte fächelte die Luft mit einer Visitenkarte. «Unser Büro ist dort gleich um die Ecke.» Hermann las «Immobilien» und so weiter. Er bat die beiden herein, entschuldigte sich, er habe keinen Besuch erwartet, räumte den Tisch ab. Die Herren setzten sich, breiteten Pläne aus, während er eine Tasse ausspülte und den Espressokocher stopfte. Er schenkte zwei Tassen Kaffee ein, verschüttete etwas auf die Pläne. «Oh, Entschuldigung. Ich bin heute ein bisschen reduziert.»
Der Glatzkopf grinste unverschämt. «Keine Ursache.»
Der mit der Gelfrisur hielt einen Vortrag, das Quartier sei im Wandel, wie er wisse, ihre Firma investiere im grossen Stil.
«Sie wollen also mein Haus.»
«Wir wollten uns mit Ihnen darüber unterhalten.»
«Ich kann doch meine Mieter nicht rauswerfen.»
«Das Bordell da unten wird demnächst geschlossen. Wissen Sie das nicht?»
«Da wissen Sie offenbar mehr als ich.»
Der mit dem gelierten Kopf hob die Hände. «Als Investoren sind wir auf Informationen angewiesen.»
«Und woher stammt das Gerücht?»
«Wir haben so unsere Quellen.»
Der Satz kam Hermann bekannt vor. Der Mann redete weiter, von Luxusappartements, Trendgastronomie, Kunstgalerien und Modeboutiquen. Dazu günstiger Wohnraum, alters-und sozial durchmischt. «Sie könnten als Aktionär von der Entwicklung profitieren. Zum Beispiel ein Appartement übernehmen. Samt Atelier. Sie sind doch Filmemacher, Künstler.»
«Aktionär? Wie ist das zu verstehen?»
«Dass Sie den guten Preis, den wir bezahlen, zu einem Teil reinvestieren können. Natürlich nur, wenn Sie wollen.»
«Und wenn ich nicht will?»
«Sie riskieren unter Umständen ein Enteignungsverfahren. Die Behörden wollen die bestehenden Zustände nicht mehr dulden. Ein Bordell in einem städtebaulich wertvollen Kerngebiet, dazu mit illegalen Prostituierten und unhaltbaren hygienischen Verhältnissen.»
«Soviel ich weiss, ist alles legal und unter Kontrolle.»
«Wir haben andere Informationen.»
Hermann fuhr mit dem Finger über die Stelle im Plan, wo sein Haus stand, das Haus des ehrbaren Schuhmachers Amberg. Die Darstellung war dreidimensional, anstelle der alten Fassade mit den verzierten Kreuzstöcken war so etwas wie eine Bienenwabe vorgesehen, ein gesichtsloser Block mit toten Fenstern, wie sie mittlerweile überall aus dem Boden schossen. «Das Haus steht doch unter Schutz, es ist eines der
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